Punk-Ikone als OB-Kandidat: "Ausziehen wird schwierig"
"Punk darf alles", findet Wolfgang Wendland. Deshalb kandidiert der Sänger der Band "Die Kassierer" als Oberbürgermeister in Bochum. Auf Wahlkampftour mit einem Altpunk.
Es ist irgendwie surreal. Da sitzt man Wolfgang Wendland gegenüber und unterhält sich mit ihm über Politik. Ganz seriös. Über klamme Stadtkassen, Alternativen zur Großindustrie, Kulturförderung. Er blüht dabei förmlich auf. Wolfgang Wendland: 52, Bauch, verdient seinen Lebensunterhalt damit, phasenweise nackt auf einer Bühne zu stehen und Zeilen wie "Blumenkohl am Pillemann" oder "saufen, saufen, jeden Tag nur saufen" zu singen. Eine deutsche Punk-Ikone. Jetzt kandidiert er für das Amt des Oberbürgermeisters in seiner Heimatstadt Bochum. Ganz seriös.
Im standesgemäßen Outfit - Dr. Martens-Stiefel, Jeans und Poloshirt mit seinem Band-Logo - lauscht er interessiert den Vorträgen einiger Mitarbeiter über internationale Hackerangriffe auf Banken. "Wolfgang für Bochum!", ruft ihm jemand im Vorbeigehen zu. Auch hier arbeiten seine Fans.
Die Atmosphäre bei diesem "Wirtschaftstermin" ist locker. "Ehrlich gesagt", sagt G Data-Vorstand Walter Schumann, "kannte ich Sie vorher nicht. Aber ich habe mich informiert. Ihrem Programm kann ich fast komplett zustimmen. Nur, dass Sie früher in einer anarchistischen Partei waren, passt ja nicht so zu uns." "Wirklich?", antwortet Wendland. "Ich kann mir nichts Anarchistischeres vorstellen als die freie Wirtschaft."
Schon lange politisch aktiv
Die Anspielung auf seine politische Vergangenheit nimmt Wendland mit einem Schmunzeln hin. "Wölfi", so sein Spitzname in der Punkszene, war bei der Bundestagswahl 2005 Spitzenkandidat der Anarchistischen Pogo Partei Deutschlands - reine Satire. Einige hat es überrascht, dass er mit seiner aktuellen Kandidatur Ernst macht. Das Wahlprogramm des Parteilosen trägt zwar den latent ironischen Namen "Bochum soll Großstadt werden", beinhaltet aber Vorhaben wie Transparenz der Stadtfinanzen, Senkung der Gewerbesteuer oder Abbau von Bürokratie.
Dass er oft unterschätzt wird, damit muss Wendland leben. Aktionen wie seine Anarcho-Kandidatur und das derbe Schaffen seiner Band lenken ab. Beispielsweise davon, dass er bis 2014 für Die Linke in der Bezirksvertretung des Stadtteils Wattenscheid saß, wo er sich für ein Kulturzentrum stark machte. "Kommunalpolitik ist ja nicht sexy. Keine Punkband schreibt einen Text darüber. Aber ich hatte immer den Eindruck, dass man, wenn man etwas für seine unmittelbare Umgebung bewegen möchte, es da versuchen sollte", meint Wendland.
Die Motivation für die OB-Kandidatur schöpft er vor allem aus einer Quelle: Er hat genug von der SPD, die Bochum seit 1946 ununterbrochen regiert. Viele Probleme kämen, seiner Meinung nach, von dieser politischen Monokultur. Speziell der neue Kandidat der Sozialdemokraten Thomas Eiskirch hat es dem gelernten Werbe- und Medienvorlagenhersteller angetan: "Im Gegensatz zu Herrn Eiskirch habe ich eine abgeschlossene Berufsausbildung. Er besitzt nur das richtige Parteibuch. Als seine Kandidatur bekannt wurde, stand überall, dass er jetzt Oberbürgermeister wird. Das finde ich ein bisschen undemokratisch und will es dann lieber selbst machen."
Zehn Tage später ist es dann soweit. Wendland meets Eiskirch. Der Kinder- und Jugendring Bochum hat zur Diskussion mit einigen Kandidaten geladen. Ausgerechnet in die Räumlichkeiten der SPD-nahen Jugendorganisation Die Falken. In der Vorstellungsrunde und bei seinen Antworten auf die Fragen der Bürger spricht Wendland heute etwas schleppend. Er geht ins Detail, hin und wieder ein flapsiger Spruch gegen Eiskirch und die SPD. Dafür gibt es Lacher.
Chancenreicher Außenseiter?
Die bekommt Eiskirch aber auch. Der 44-Jährige ist groß, wirkt sportlich, hat dunkle Haare und mehr Charisma als der Durchschnittspolitiker. Das NRW-Landtagsmitglied redet flüssig, bleibt aber unkritisch und phrasenhaft, wenn es um die bisherige Politik in der Stadt geht. Er tritt halt auf wie ein SPD-Berufspolitiker, der Oberbürgermeister werden möchte. Er greift auch zur üblichen Folklore und erwähnt seine Treue zum VfL Bochum, während Wendland auf die Frage nach seinem Lieblingsverein antwortet: "Ich bin kein Fußballfan." Im Ruhrgebiet eine Aussage zwischen Provokation und Revolution.
Eiskirch, der schon einige Sprüche von Wendland über sich ergehen lassen musste, will auf die Sticheleien gegen seine Person aber nicht eingehen. "Ich reagiere und antworte darauf nicht. Wenn das Herrn Wendlands Meinung ist, dann ist das so", sagt er.
Wolfgang "Wölfi" Wendland als Oberbürgermeister von Bochum - das wäre sicherlich eine interessante Werbung für die Stadt, die sonst mit Opel-Werksschließung und fragwürdigen Steinbrück-Reden Schlagzeilen macht. Fans hat Wendland immerhin in ganz Deutschland, auch aus der Hauptstadt kommt Wahlkampfhilfe. Die Berliner Rapper von K.I.Z. rufen per YouTube zur Stimme für den befreundeten Punk auf.
Doch was wird aus Die Kassierer, falls deren Sänger gewählt wird? "Ich weiß nicht, ob ich dienstrechtlich noch mit der Band weitermachen dürfte", grübelt der. "Ausziehen wird auf jeden Fall schwierig. Sonst heißt es: Ah, der Oberbürgermeister stand wieder nackt auf der Bühne."
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