Abgehört: Die wichtigste Musik der Woche

Von und

Apokalypse geht immer, aber nicht bei K.I.Z.: Den Berliner Radikal-Rappern fällt ausgerechnet zum Weltuntergang nichts Originelles ein. Dann lieber totale Seelenvereisung mit Prurient. Außerdem: Little Boots! Years & Years!

K.I.Z. - "Hurra, die Welt geht unter"
(Vertigo Berlin/Universal, ab 10. Juli)

Und wieder einmal geht die Welt unter, so weit, so alt. Wir kennen das schon aus einschlägigen Medien und Kulturprodukten, die sich "Sensation" in fetten und unterstrichenen Majuskeln auf die brennenden Fahnen geschrieben haben: Autos auf Kerosin, Höllenhunde, die aus Höllenschlunden steigen, die Dinosaurier sind wieder da, die Zombies dürfen auch mitmachen, Kriege, Epidemien, Vulkanausbrüche, Meteoritenschauer, krach, bumm, peng! Zu allem Übel ist jetzt auch noch der Supermarkt leergeraubt und das Bier alle, und über allem dräut das gefühlte Unwort der vergangenen Jahrzehnte: "Klimawandel". Ach, und welchen Termin hatten die Maya im Kalender noch mal rot umkringelt?

Apokalypse geht immer. Es würde nicht wundern, wenn morgen eine RTL-Sendung mit dem Titel "Die ultimative Inferno-Show" zur Primetime starten würde. Beste Einschaltquoten wären garantiert. "Hurra, die Welt geht unter" heißt nun mit zwingender Logik das neue Album von K.I.Z.

Klar: Die derbste deutschsprachige HipHop-Crew interessiert sich nicht für die kleinen Dinge im Leben; wenn, dann muss es für die Kannibalen in Zivil bzw. Kriegsverbrecher im Zuchthaus bzw. Künstler in Zwangsjacken bzw. Wen-auch-immer schon die Apokalypse sein. Auch klar, dass sich die Berliner auf ihrem fünften Album darüber freuen und gleich im selbstbespiegelnden Opener Sätze wie "Ich bin kein Großkotz, ich bin bloß Gott", "Homosexualität war unsere Idee" und "Ihr Untermenschen, verbeugt euch nun vor den Erfindern von deutschem Humor" raunen, dazu hört man digital vergewaltigte Kirchenglocken und die apokalyptischen Reiter näherkommen.

K.I.Z. eben. Bescheidenheit und political correctness waren noch nie die Suchworte, über die man auf die Band stieß. Irgendwann aber wird alles mal langweilig, auch die größte Satire, die krasseste Provokation, die unappetitlichste Geschichte, das fieseste Schimpfwort, das man auf dem Schulhof in Neukölln aufschnappen konnte, und, ja, sogar der Weltuntergang.

Und der klingt bei K.I.Z. ziemlich normal, um nicht zu sagen: seicht. Logisch, in den Texten wird mal wieder von blasphemisch ("Wir") über ödipal ("Käfigbett") bis pädophil ("Was würde Manny Marc tun", "Ariane") durchdekliniert, was man sich vorstellen könnte, aber eigentlich nicht möchte. Hier überraschen K.I.Z. so gar nicht, auch wenn sie versuchen, sich zum Beispiel mit einem Stück aus der Sicht eines Selbstmordattentäters ("Boom Boom Boom") am Zeitgeist festzubeißen; der huscht ihnen aber davon. Und wenn sie singen "Wir bringen den Hass", fragt man sich: Wann bringt ihr mal was Neues?

Musikalisch ist das alles andere als ein bedrohlicher Feuerschwall, anders als etwa "Alles brennt", das letzte Album der Kollegen von Zugezogen Maskulin. Bei K.I.Z. ist die digitale Kompression King, obwohl sie damit in der HipHop-Szene der Gegenwart wie müde Hofnarren wirken. Wer das Wörtchen Weltuntergang in den Mund nimmt, könnte sich durchaus etwas weiter aus dem Fenster lehnen.

Am Ende, nach 13 gar nicht mal kurzen oder schmerzlosen Stücken, ist die Welt (mal wieder) untergegangen. Man stellt den Wecker und freut sich auf diese neue RTL-Show, die dann morgen nach Feierabend hoffentlich kommt. (2.7) Jurek Skrobala

K.I.Z. - "Boom Boom Boom"

Boom Boom Boom von K.I.Z. auf tape.tv.

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Little Boots - "Working Girl"
(Rykodisc/Warner, ab 10. Juli)

"It's so hard, it's so hard for a working girl", singt Little Boots im Titelsong, dazu blubbert ein House-Beat ungefähr so lustvoll aus den Boxen wie morgens der Kaffee aus dem Filter: Commuter-Routine, Montagsblues, überfüllte U-Bahn. Victoria Hesketh bleibt auch auf ihrem dritten Album ihrem Ur-Mantra treu. "Stuck on repeat", gefangen in der Warteschleife, hieß 2008 ihr erster Hit. Nach Clubbing, Landpartie, Teenager-Schwärmereien und Road-Trip-Romantik (auf "Hands" und "Nocturnes") ist sie nun mit 31 Jahren in der Arbeitswelt und ihrem drögen Alltag angekommen.

Und was fällt einer der drei aufregendsten Pop-Newcomerinnen von 2008 (die anderen waren LaRoux und Florence and the Machine) zur Lage im Job ein? Erst mal kein Stress! "No Pressure" postuliert sie, zu ähnlich somnambulen Klängen wie im Titelsong, erst im dritten Titel zieht das Tempo an, schlägt das Koffein durch: "Get Things Done" wirkt mit seinem Disco-Beat wie eine Selbstermächtigungshymne à la Spice Girls, entpuppt sich bei näherem Hinhören aber als melancholische Abrechnung mit den work ethics unserer Gesellschaft: Bloß keine Fehler machen, Schlaf ist überbewertet, immer alles hinkriegen, egal wie. "You've got to play that game", heißt es später in "The Game".

Nun gibt es ja zwei Wege, mit diesen tristen Erkenntnissen umzugehen: Man krallt sich, wie Madonna, erst richtig rein und versucht, besser als alle Männer zu sein. Oder man resigniert: "Why does it hurt so bad, why does it feel so wrong, just trying to be strong?", heißt es im ironisch betitelten "Business Pleasure". Naja, morgen früh ist bestimmt alles wieder besser ("Better in the Morning"). Ist es aber nicht, und dieser bitteren Wahrheit verweigert sich "Working Girl" so beharrlich, dass die Weinerlichkeit, die Prinzessin-auf-der Erbse-Attitüde, die sich hinter Heskeths niedlichem Mädchengesang nur notdürftig verbirgt, irgendwann schlimm nervt. Und auch musikalisch kommt sie nicht über biedere, von britischem Pop geprägte Gebrauchselektronik hinaus. Man sehe mir die schnöde Pointe nach, aber: These little boots aren't made for walking. (4.0) Andreas Borcholte

Little Boots - "Better in the morning"

Better In The Morning von Little Boots auf tape.tv.

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Prurient - "Frozen Niagara Falls"
(Season of Mist/Soulfood, seit 15. Mai)

Ja, Sie haben richtig gelesen, dieses Album ist schon seit ein paar Wochen "draußen", und jetzt wäre es natürlich ein Leichtes, zu behaupten, ich hätte sechs Wochen gebraucht, um diesen 90 Minuten langen Brocken aus knisterndem, knackenden, zischenden schwarzem Eis zu schmelzen, seine Essenz in mich aufzunehmen, mit seiner depressiven Wucht klarzukommen, mich emotional wieder ins Gleichgewicht zu bringen.

Aber nee: Ich hab's schlicht verpasst, dass diese großartige Platte klammheimlich digital erschienen ist. Sie deshalb zu ignorieren, kommt aber gar nicht infrage. Außerdem, Fügung des Schicksals, passt sie hervorragend zum Abschluss dieses heißesten Wochenendes seit Anbeginn aller Aufzeichnungen, denn frostiger als "Frozen Niagara Falls" geht's kaum.

Ian Dominick Fernow ist seit rund 20 Jahren eine Größe in der sogenannten Noise-Szene, er reicht seine zwischen Techno und Hardcore, Metal und Industrial oszillierende Musik in wechselnden Inkarnationen dar, zum Beispiel als Vatican Shadow oder Winter Soldier oder als Teil von Bands, die illustre Namen wie Smashed Femur Dance Party tragen. Wenn es ihm aber darum geht, ein Statement zu machen, dann firmiert Fernow unter dem Moinker Prurient, was, salopp gesagt, so viel heißt wie "geil" im lüsternen Sinne.

Wobei Geilheit bei Fernow bedeutet, einer imaginären Geliebten das Rückgrat herauszureißen, damit er, auf der Suche nach Restwärme, besser in ihren Körper hineinkriechen kann - oder die Vorstellung, sie danach mit Hilfe von Libellen wieder zusammenzunähen, wie auch immer man sich das vorstellen soll ("Dragonflies to Sew You Up"): "Frozen Niagara Falls" ist das Testament einer schockgefrorenen Psyche, einer emotionalen Vereisung so total, dass sich das Blut wie ein Gletscher durch Venen und Arterien zwängen muss.

Die Geräusche, die dabei entstehen, ein gewaltiges, am kalten Fleisch zerrendes, bis ins Mark erschütterndes Schleifen, Knarren und Brüllen, bildet den Großteil der Musik, von "Dragonflies" über das besonders arktische "Traditional Snowfall" und das Psychokiller-Geflüster von "Lives Torn Apart (NYC)" bis zum zweigeteilten Titelstück. Hier leuchtet Fernow mit grellweißem Lichtskalpell noch einmal die entlegensten Ecken seines Genres aus, man entdeckt Spuren von deutschen Kraut- und Synthie-Pop-Pionieren, von Nine Inch Nails, Ministry und Godflesh, Prurients aktueller Sound ist retrospektiv, was seine archaische Wucht noch verstärkt.

Das Retro-Motiv ist auch ein lokales, denn nach Stationen unter anderem in Berlin kehrte Fernow unlängst nach New York zurück, eine zutiefst unwirkliche Stadt, die sich bekanntlich bestens zum Hineinsteigern in Einsamkeitswahn, Horror-Fantasie, Apokalypse und Depression eignet. In "Greenpoint", jenem grenzgentrifizierten, postindustriellen Teil von Brooklyn, am Ufer des East Rivers, bibbernd in der Kälte, überlegend, ob er die klirrend kalten Fluten zu seinem Grab machen soll, entfaltet sich das Meisterliche von "Frozen Niagara Falls": Barocke Akustikgitarren verwirren mit ihren warmen Akkorden, bevor langsam, ganz allmählich, über Fernows bedrohlich nüchternem Sprechgesang, alles wieder mit synthetischen Eiskristallen bedeckt wird. Ganz am Ende, im ebenfalls über zehn Minuten langen "Christ Among the Broken Glass", wird es noch mal so irre psychofolkig, wenn zu den fatalistisch ins Jenseits eines imaginären Spaghetti-Westerns deutenden Moll-Gitarren plötzlich Tauwetter einsetzt, die Gletscher schmelzen, ganze Regenkaskaden herab pladdern.

Ist das nun ein Hoffnungsschimmer, die Aussicht auf einen unwahrscheinlichen Frühling der Seele? Oder doch nur das Elysium des ersehnten Todes? Was auch immer, ohne Wunden an den Füßen ist es nicht zu haben. Fragt sich nur, ob das Blut dieses Eisheiligen noch warm genug ist, um zu fließen. (9.5) Andreas Borcholte

Best-of "Abgehört"

Unsere wöchentlich aktualisierte Playlist

Years & Years - "Communion"
(Polydor/Universal, ab 10. Juli)

"Let go of everything", so endet die zumindest in England allgegenwärtige Coffeeshop- und Modeboutiquen-Hymne "King" von Years & Years, und tatsächlich möchte man angesichts dieses totalen Pop-Offenbarungseids alle Hoffnung fahren lassen. Zuvor singt Olly Alexander mit seiner nur schwer erträglichen Heulsusenstimme davon, dass er ein König gewesen sei, allerdings nur unter der Kontrolle einer anscheinend weiblichen absolutistischen Macht. Nein, das hat nichts Politisches, hier sind nicht die Griechen, die EZB-, oder EU-Granden gemeint, die sich in die Alternativlosigkeit Angela Merkels fügen, nein, hier geht es nur um strunzdummen, hedonistischen Konfessionspop, der in den seichten Gemütern seiner Protagonisten nach Tiefe schürft und letztlich mit dem Kopf im Sand feststeckt.

Es gibt genau zwei Gründe, warum "Communion" an dieser kostbaren Stelle als "wichtigste Musik der Woche" auftaucht: Erstens, Years & Years wurden Ende letzten Jahres in einem Anfall von Fehlbarkeit von der BBC als einer der "Sounds of 2015" nominiert, ein Veredelungsvorschuss, der uns Kritikern abverlangt, zumindest mal hinzuhören, wenn genügend Musik zum Beurteilen vorliegt. Nachdem das nun pflichtschuldigst erfolgt ist, kommt der zweite Grund dieser Rezension ins Spiel, die Warnung vor dem Hype: Lassen Sie sich von niemanden, nicht vom Formatradiodampfplauderer ihrer nächsten Radiostation, der voll auf solchen windelweichen Tu-mir-nicht-weh-Dreck steht, nicht von irgendwelchen verlängerten Armen der Plattenindustrie (sämtliche Lifestyle-Magazine, Late-Shows und Daily Soaps der Privatsender) erzählen, dass Years & Years das nächste große Ding nach Clean Bandit und Sam Smith aus Great Britain ist.

Erstgenannte waren ebenfalls schon langweilig und redundant, und so ist es auch mit dieser notdürftig als hipper Elektropop-Act getarnten Boyband. Es gibt viel, sehr viel innovative und interessante Pop- und Dance-Musik aus England, sie wird zum Beispiel von FKA Twigs, Disclosure oder Skepta gemacht, aber nicht von diesen windelweichen Beachbar-Beschallern. (1.0) Andreas Borcholte

Years & Years: Communion

Years & Years: Communion auf tape.tv.

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Wertung: Von "0" (absolutes Desaster) bis "10" (absoluter Klassiker)

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insgesamt 14 Beiträge
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1. das war die wichtigste Musik der Woche?
marshall rosi 07.07.2015
das war also "die wichtigste Musik der Woche"? Vielleicht ist diese Überschrift einfach irreführend? Bin tatsächlich etwas enttäuscht, hier (bis auf eine Ausnahme) fast nur von schlecht besprochenen Neuerscheinungen und Verrisse zu lesen und zu hören.
2. Na Na Na
hongs123 07.07.2015
Spieglein, Spieglein in meiner Hand... Du wirst wohl nicht schon wieder wahllos ein Album verrissen haben nur um Reaktionen heraufzubeschwören? Liebe K.I.Z.ler vergebt ihnen nicht, denn sie wissen was sie tun...
3. magic moments of abgehört
dankewirsindzufrieden.com 07.07.2015
prurient, von a.borcholte, offenbar höchst inspiriert, in die öffentliche wahrnehmung diesseits der für gewöhnlich von der aussenwelt abgeschnittenen noise-zirkel gehievt, und das auf so, will sagen,kunst- & respektvolle weise - so wurds zum abend doch ein guter tag des daseinfristens, spon sei dank
4. Erspart es uns endlich
Torschtl 07.07.2015
Mittlerweile ist es bei der wöchentlichen Spon-Plattenkritik ja offenbar Pflicht geworden mindestens einen Totalverriss abzusondern. Diesmal hat es years and years erwischt. Uns Andreas, klassischer Kritiker, der es niveaumässig nie unter der obersten Schublade macht und sich auf Parties bei banalen Tanznummern ob der Seichtheit mit Grauen abwendet - ausser natürlich bei disclosure, mit denen man immer richtig liegt - schreibt eine Kritik über eben eine solche Seicht-Musik. Hilft leider niemandem, ausser der Therapie von Andreas, dass er mal wieder so richtig die Sau raus lassen konnte. Deswegen: Schreibt doch Kritiken über Musik, die grundsätzlich eurer Richtung entspricht, damit der Leser was davon hat. Oder was hilft die Kritik eines Slayerfans über die neueste Dilated Platte? P.s. Gib besser zu, dass du heimlich Helene hörst ;-)
5. Die wichtigste Musik der Woche
resomax 08.07.2015
Meine Meinung zu diesem inhaltleeren Beitrag: die wichtigste Musik der Woche war eindeutig bei Apple Music zu finden! Weil: da konnte man die letzte Woche viel Neues und noch mehr Tolles entdecken - die persönlichen Playlisten machen das Musikentdecken zu einer schönen und kurzweiligen Angelegenheit!
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Andreas Borcholtes Playlist KW 28
  • SPIEGEL ONLINE

    01. Prurient: Christ Among The Broken Glass (Track)

    02. Enrico Caruso: Che Gelida Manina (Track)

    03. Thundercat: Song For The Dead (Track)

    04. Hælos: Earth Not Above (Track)

    05. Nova Heart: Lackluster No. 3 (Track)

    06. U.S. Girls: Damn That Valley (Track)

    07. The Chemical Brothers: Sometimes I Feel So Deserted (Track)

    08. Skepta: Shutdown (Track)

    09. Fields Of The Nephilim: Dawnrazor (Track)

    10. Tame Impala: Eventually (Track)

Abgehört im Radio

Neu! Abgehört gibt es jetzt auch im Radio! Jeden Mittwoch um 23 Uhr gibt es beim Hamburger Web-Radio ByteFM ein Abgehört-Mixtape mit vielen Songs aus den besprochenen Platten und Highlights aus der persönlichen Playlist von Andreas Borcholte.


"Abgehört" und "Amtlich" live