18.04.2015

Ich sagte nicht Majestät

Zitate aus Gesprächen mit Günter Grass im SPIEGEL von 1965 bis 2010

VERGANGENHEIT (1965)

Schriftsteller blicken immer zurück in die Vergangenheit. In meinen Romanen habe ich mich mit der deutschen Vergangenheit auf literarischer Ebene auseinandersetzen müssen. Ich habe in literarischer Form darauf reagiert. Sie ist eine Mischung aus Satire und Fantasie, durch Realität kontrolliert.

WAHLKONTOR (1982)

Als alles anfing, bei der ersten Willy-Brandt-Wahl, 1961, gab es in Berlin eine Art Schriftstellerkontor. Ich habe da mit Egon Bahr, der Brandts Pressesprecher war, bei der Vorbereitung von Wahlkampfreden zusammengearbeitet. Doch das genügte mir nicht und war unbefriedigend, dieses Zuarbeiten. 1965 habe ich dann zwei Wahlkampfreisen vorbereitet. Das war relativ neu damals, wir haben das auch selbst finanziert - ohne Rücksprache mit der SPD. Dort war man sehr überrascht und zum Teil erschrocken über diese Art von Wahlhilfe.

MARTIN WALSER (1989)

Es sei Martin Walser unbenommen, seine Meinung zu ändern. Als ich ihn kennenlernte, war er ein aufgeklärter Konservativer vom Bodensee, mit einer gewissen vorsichtigen Neigung zur SPD hin, die sich über den Studentenprotest zur DKP-Nähe hin entwickelte, dann wieder Abstand nahm, jetzt plaudert er mit Waigel - da sind ein paar unerklärte Drehungen zu viel dabei, die mir nicht gefallen. Da bleibt auch vom so herrlich beredten Widerspruchsgeist Walsers zu viel auf der Strecke, es wird flach und endet, wie immer, wenn Intellektuelle sentimental werden, in Rührseligkeiten.

CHRISTA WOLF (1990)

Sie hat weder die Rigorosität eines Biermann noch das bewundernswerte, nahezu starrköpfig anmutende und nun doch wunderbarerweise erfolgreiche Verhalten eines Vaclav Hável. Sie ist ein anderer Mensch, und sie hat offenbar bis zum Schluss geglaubt, es könne innerhalb des Gesellschaftsverständnisses der DDR zu einer grundlegenden Änderung kom-men. Ich habe das selbst nie geglaubt,

aber das gibt mir doch kein Recht, darüber den Stab zu brechen.

AUTOBIOGRAFIEN (2003)

Wenn ich eine Möglichkeit sähe, mich gewissermaßen in Variationen zu erzählen - das wäre vielleicht reizvoll. Aber eigentlich mag ich Autobiografisches in der verschlüsselten Form der Fiktion, des Romans, lieber.

NOBELPREIS (2009)

Ich hatte meine Rede gut vorbereitet und mir extra einen Frack schneidern lassen. Das sah gut aus. Aber beim Festessen habe ich mich dann doch etwas danebenbenommen. Ich hob einfach mein Glas und sagte: "Zum Wohle, Herr König" - schon die Anrede war falsch, weil ich nicht "Majestät" gesagt hatte. Und natürlich hätte er zuerst das Glas erheben müssen.

WAFFEN-SS (2010)

Das war keine Verfehlung meinerseits. Ich bin damals, wie viele Tausende andere auch, eingezogen worden. Ich habe mich nicht zur Waffen-SS gemeldet. Das Kriegsende befreite mich von dem beschworenen blinden Gehorsam. Danach wusste ich: Nie wieder würde ich einen Eid leisten.

STERBEN (2010)

Ich stelle fest, dass man auf der einen Seite reif dafür ist. Und ich stelle fest, dass eine gewisse Neugier geblieben ist: Was wird aus den Enkeln, wie werden die Fußballergebnisse am Wochenende aussehen? Es sind also durchaus auch Banalitäten, die ich noch erleben möchte. Jacob Grimm hat eine wunderbare Rede auf das Alter geschrieben, und an anderer Stelle habe ich bei ihm gelesen: "Die letzte Ernte steht auf dem Halm." Das hat mich angerührt, und natürlich habe ich nahezu übergangslos das eigene Alter reflektiert. Eine vorherrschende Furcht vor dem Sterben stellte ich dabei nicht fest.

* Mit den Redakteuren Volker Hage und Katja Thimm auf der dänischen Insel Møn 2010.

DER SPIEGEL 17/2015
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