Erinnerung an die Zeit vor dem Bürgerkrieg "Niemand konnte Comedy so gut wie die Syrer"

Mehrere Männer sitzen in einem Straßencafé in Damaskus (Archivbild aus dem Jahr 2009).

(Foto: AFP)

Im Elend der Kriegsbilder geht der Charakter eines Volkes verloren. Wer sich vor dem Bürgerkrieg länger in Syrien aufhielt, der traf herzliche Menschen voller Charme und Witz - und versucht die Erinnerung an liebenswerten Eigenheiten wach zu halten.

Von Violetta Hagen

Die Nachricht, dass der in Syrien entführte amerikanische Journalist James Foley von IS-Rebellen ermordet wurde, schockierte in dieser Woche die Welt. "Du warst doch dort - was denkst du darüber?", fragte mich ein Freund am Telefon, als in allen Medien über den Mord berichtet wurde. Ich weiß meist nicht, was ich auf solche Fragen antworten soll. Dieses Syrien, in dem Familien verhungern, Wohnviertel mit Giftgas beschossen und Ausländer geköpft werden, ist mir vollkommen fremd.

An dem Tag, an dem ich nach Syrien reiste, war meine Mutter schweigsam. Erst später gestand sie mir, was ihr während der Fahrt zum Flughafen durch den Kopf gegangen war: Bilder bärtiger Männer, dunkler Straßen und inmitten dieser entsetzlichen Fremde ihre 21-jährige blonde Tochter. Es war ein früher Morgen im September 2009 und ich brach zu meinem Auslandssemester nach Syrien auf.

Als sich das Flugzeug im Landeanflug auf Damaskus befand, packte auch mich die Panik. Ich kannte keine Syrer, meine Arabisch-Kenntnisse beschränkten sich auf das erbärmliche Stammeln einzelner Wörter. Dieses Land und seine Menschen waren mir fürchterlich fremd.

Kaum war ich aber in Damaskus angekommen, änderte sich das. Wildfremde Menschen begrüßten mich im Vorbeigehen mit den Worten "Welcome to Syria!". Noch heute denke ich an das kugelrunde Gesicht meiner syrischen Vermieterin Um Musa, die mich mit den Worten "futi, futi - 'schrabbi Schai!" zu einer Tasse Tee in ihr Wohnzimmer drängte. Ich erinnere mich an das verschmitzte Lächeln einer alten Frau, die mir nach dem Kirchgang versicherte: "Sag ein Wort, mein Liebling, und wir finden einen gutaussehenden Ehemann für dich!"

Schnell stellte ich fest: Die Syrer waren ein unterschätztes und missverstandenes Volk. George W. Bush hatte sie als Teil der "Achse des Bösen" definiert und so fristeten die herzlichen und freundlichen Syrer ein isoliertes Dasein. Nur wenige Ausländer verirrten sich in das gebrandmarkte nahöstliche Land.

Über Politik wurde nur in der eigenen Wohnung gesprochen

Die Haupstadt Damaskus war ein Geheimtipp, ein arabisches Kleinod. Die wenigen Touristen wurden selten bedrängt und an den Marktständen fanden sich kaum Souvenirs. In der einzigartigen Altstadt von Damaskus konnte man stundenlang umherstreifen, sich in immer schmaleren, leise zerfallenden Gassen verlieren, nur um plötzlich im geschäftigen Treiben eines arabischen Marktes wieder aufzutauchen.

Ich möchte dieses "alte" Syrien nicht verklären - schon damals setzte Präsident Baschar al-Assad seine Macht auf unerbittliche Art durch. Unter all der wilden nahöstlichen Romantik lauerte stets eine leise Angst. Es war ein Gefühl, ein Schatten, den ich erst nach Monaten bemerkte. Der allgegenwärtige Geheimdienst hatte die Menschen vorsichtige Schulterblicke gelehrt.

Kampf gegen IS in Syrien und im Irak Terror ohne Grenzen

US-Verteidigungsminister Hagel denkt laut darüber nach, die Terrororganisation IS nicht nur im Irak zu bekämpfen - sondern auch im Nachbarland Syrien. Tatsächlich lässt sich die bestens ausgerüstete und hochmotivierte Miliz nicht stoppen, wenn sie nur in einem Land verfolgt wird.

Gespräche über Politik und Religion fanden außerhalb der eigenen vier Wände kaum statt. Mehr noch als in anderen arabischen Gesellschaften lief in der syrischen viel zwischen den Zeilen ab - fast alles. Blicke und Gesten waren Codes, die sich dem Ausländer kaum erschlossen. Die Syrer hatten sich in eine unpolitische Häuslichkeit zurückgezogen - bis der Weckruf des Arabischen Frühlings schließlich auch durch die Straßen ihrer Städte hallte.