Deutscher Buchpreis Ist da ein Sexist?

Zu viele Männer? Zu wenig Frauen? Und was ist mit der Qualität? Um die Longlist zum Deutschen Buchpreis ist ein Streit entbrannt. Vielleicht steckt hinter dem neuen Genre des Pre-Bashings aber auch ein ganz pragmatischer Grund.

Von Christopher Schmidt

"Der beste Roman des Jahres" heißt das neue Buch des englischen Schriftstellers Edward St Aubyn, das auf Deutsch im September erscheint. Es geht darin um die hochkorrupten Gepflogenheiten bei der Vergabe des wichtigsten britischen Literaturpreises, des Booker Prize, der im Buch "Elysia Preis" heißt. Weil die Manuskripte verwechselt werden, landet nicht der Roman der begabten Nachwuchsautorin, die mit gleich drei Männern aus dem unmittelbaren Umfeld des Preises ins Bett geht, unter anderem mit ihrem Lektor, auf der Liste der Kandidaten, sondern das Kochbuch einer indischen Großmutter. Die Argumente, dem Malheur den Anstrich einer programmatischen Setzung zu geben und zu begründen, warum das Kochbuch in Wahrheit viel mehr ist als nur das, sind schnell aus dem Zylinder postmoderner Erzähltheorie gezaubert.

Damit es in der Realität, zumindest in der deutschen, nicht so weit kommt wie in St Aubyns Betriebssatire, kann es kaum schaden, frühzeitig das Menü zu studieren und daraus Rückschlüsse zu ziehen, nach welchem Rezept hiesige Juroren für Literatur eigentlich kochen. Und dieser Voraussicht verdankt sich das Genre der Longlist-Kritik, die so etwas ist wie Probeessen, wo noch gar nichts auf dem Tisch steht. Am 13. August wurde zum Beispiel die Longlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis, den prestigeträchtigsten deutschsprachigen Buchpreis, bekannt gegeben, und seither tobt über diese Auswahl ein Streit, der über das übliche Branchengezeter hinausgeht. Anlass genug, sich zu fragen, wie sinnvoll das relativ junge Genre der Longlist-Kritik, also der kritischen Kommentierung derjenigen Bücher, die es in die Vorauswahl geschafft haben, überhaupt ist. Dass dieses Genre sich erst vor wenigen Jahren etablieren konnte, dafür gibt es nämlich gute Gründe.

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Zum einen muss es auf Außenstehende einigermaßen neurotisch wirken, wenn der Literaturbetrieb sich nicht mehr nur über die aussichtsreichen Kandidaten auf der in diesem Fall zwanzig Titel umfassenden Longlist zankt, sondern bereits über die 14 Personen, von denen keine einzige die Chance hat, den Preis zu erhalten. Denn am 10. September wird die Longlist auf die sechs Namen der Shortlist verkürzt. Zum anderen setzt Longlist-Kritik einen exzellenten Überblick über die laufende literarische Produktion voraus. Im aktuellen Fall der in die Diskussion geratenen Longlist für den Deutschen Buchpreis, mit dem der Börsenverein des Deutschen Buchhandels seit 2005 den besten deutschsprachigen Roman des Jahres auszeichnet, heißt das, zumindest mit den 176 Büchern vertraut zu sein, die in diesem Jahr von den Verlagen eingereicht wurden.

Natürlich steht es jedem frei, auch ohne Kenntnis des Gesamttableaus diesen oder jenen Roman in der engeren Wahl zu vermissen - irgendwas fehlt schließlich immer. Doch das befriedigende Lektüreerlebnis eines bestimmten Titels sagt noch nichts darüber aus, wie sich dieses eine zu den 175 anderen Büchern verhält, die ebenfalls im Wettbewerb standen, ganz zu schweigen von denen, die nicht vorgeschlagen wurden oder deren Verfasser gar nicht erst vorgeschlagen werden wollten. Wer daher den Juroren vorwirft, ihr Pflichtpensum nur eingeschränkt bewältigt zu haben, muss über ein beneidenswert ruhiges Lesegewissen verfügen. Und so ist es vermutlich allein allzu ausufernder Lektüre zuzuschreiben, dass Dirk Knipphals in der taz die Preisrichter dafür tadelt, bei ihrer Begutachtung die Autorin Karen Köhler übergangen zu haben, obwohl ihr Buch "Wir haben Raketen geangelt" gar kein Roman ist, sondern ein Erzählungsband, also einem entscheidenden Auswahlkriterium nicht genügt. Na ja, zumindest ist es kein Kochbuch.

Die Frage aber, wie sich die Qualität der Romane zueinander verhält und ob hier richtig gewichtet wurde, leitet über zu dem zweiten Problem, mit dem das Genre der Longlist-Kritik behaftet ist: der Tatsache, dass die Jury natürlich genauso heterogen ist wie die Bücher der Saison, die sie gesichtet hat. Es ist ein platonisches Phantasma, zu unterstellen, die Auswahl spiegele die Präferenzen jedes Einzelnen in der Jury akkurat wider. Wer also, wie jetzt geschehen, dem Verfahren vorwirft, es sei undemokratisch, müsste eigentlich die Demokratie als solche kritisieren, die ja in den Ausleseprozeduren wirksam wird, und nicht den Vorgang. Niemand sagt, dass demokratische Entscheidungen immer zu den besten Ergebnissen führen. Warum sollte das auf dem Gebiet der Kunst anders sein? Man mag die Longlist für unzulänglich halten, aber sie ist es nicht trotz der Demokratie, sondern eher wegen ihr.