Kultur

Bachmannpreis

03.07.14

Wir sind ein Jurassic Park, und das ist auch gut so

Literatur-Groupies und Kritiker sind mal wieder in schönster Lästerlaune: In Klagenfurt am Wörthersee sind bei herrlichem Badewetter die 38. Tage der deutschsprachigen Literatur gestartet.

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Von Marc Reichwein

Rund eine halbe Stunde vor der traditionellen Eröffnung am Mittwochabend saß Burkhard Spinnen allein in der noch leeren Juroren-Manege des ORF-Theaters und starrte auf sein Handy. Ob der Papa der Jury da noch über Möglichkeiten sinnierte, wie man die wegen akuter Windpocken am Anreisen und Teilnehmen verhinderte AutorinKaren Köhler per Skype ins Programm hieven könnte? Leider kennt die Satzung keine Abwesenheit – die Klagenfurt-Historie auch nicht.

Mit der Absenz von Karen Köhler stehen nur 13 statt der üblichen 14 Kandidaten im Bewerb um den mit 25.000 Euro dotierten, renommierten Bachmann-Preis, über den am Sonntag entschieden wird. Ein starker österreichischer Jahrgang ist es in jedem Fall: Gleich fünfeinhalb Ösis treten gegen fünfeinhalb Deutsche und zwei Schweizer an.

Für die beiden halben Portionen steht Tex Rubinowitz, der Wahlwiener, der als Dirk Wesenberg 1961 in Hannover geboren wurde, und, dies nur nebenbei, die lustigsten Bachmannpreis-Satiren der letzten Jahre verfasst hat (nachzulesen in dem Buch "Rumgurken"). Mit Rubinowitz' Teilnahme im Kandidatenkreis tritt der Bachmannpreis in eine weitere Ironieschleife seiner selbst. Aber was wäre der Bachmann-Preis für ein Event, wenn er nicht auch das noch aushalten würde – nach dem Vorjahresschreck um seine mögliche Abschaffung durch den ORF.

Blech und Literatur: manchmal sehr nah

In den Honoratiorenansprachen des Eröffnungsabends klang noch viel Erleichterung durch, dass der Bachmannpreis nun finanziell offenbar langfristig gesichert ist. Alle lobten den "Anachronismus", den man mit diesem Veranstaltungsformat hegt und pflegt, und als habe man die passende Deko dazu bestellt, zeigt sich die Bühne des ORF-Theaters heuer als "Jurassic Stage": ein Material, das trotzige Reliefs und gerne Deformationen zeigt, die bei aller Ambitioniertheit hier wie da hässlich scheppern können. Manchmal stehen sich Blech und Literatur erstaunlich nahe.

Maja Haderlap, die Bachmannpreis-Gewinnerin des Jahres 2011, hielt die traditionelle Klagenfurter Rede. Es ging um Sprachwechsel in der Literatur: Nicht nur ihren persönlichen Migrationshintergrund vom Slowenischen ins Deutsche thematisierte die Kärntner Slowenin. Auch die generelle Tendenz des Literaturbetriebs, Autoren, die nicht in ihrer Muttersprache schreiben, auf eindeutige Identitäten festzulegen und entsprechend zu etikettieren.

Apropos: Manch einer hätte sich sich neue Juroren gewünscht, doch nur auf dem Posten des von Teilen des Publikums bereits schwer vermissten Paul-er-kann-auch-schnippisch-Jandl gab es eine Rochade; hier wirkt jetzt der Literaturwissenschaftler Arno Dusini, womit der deutschsprachige Raum dem Prinzip des Regionalproporzes endgültig Tribut zollt.

Ist der Amtsschimmel nun kafkaesk oder nicht?

Der erste Wettlese-Vormittag begann mit einem Text des Österreichers Roman Marchel, von dem sich Hubert Winkels fatal an Michael Hanekes Film "Liebe" erinnert fühlte, woraufhin Daniela-sie-hat-den-größten-Fanklub-Strigl lakonisch konstatierte: Das Altern in Brutalität sei kein Thema, das Haneke erfunden oder gepachtet habe.

Des Weiteren diskutierte die Jury am ersten Lesetag über die Frage, ob Zebrastreifen Tigermuster ausprägen können, Nerzfarmen als KZ-Metaphern taugen und der Amtsschimmel eines schreibenden Finanzbeamten namens Tobias Sommer kafkaesk oder eher nicht kafkaesk sein könne. So weit also der ganz normale Klagenfurt-Wahnsinn, der in seiner liebevollen, ironisch-ernsthaften Begleitung längst zur Jahreshauptversammlung der literarisch interessanten sozialen Netzwerke mutiert ist.

Zum großen Nischenkultur-Fernsehereignis sowieso. Im lauschigen Landesstudiogarten logiert "Zeit"-Literaturchef Ijoma Mangold in knallroten Hosen als Gesprächspartner an der Seite von Ernst A. Grandits, dem 3sat-Grandseigneur in Segelschuhen, der in seinen Moderationspausen manisch fotografiert wie Rainald-auch-schon-mal-hier-gewesen-Goetz. Bei seinem liebsten Hobby gestört wird er eigentlich nur, wenn ihm hochtoupierte Kärntnerinnen bekennen: "Wir schwärmen grad von Ihnen." In der ironischeren Diktion eines Tex Rubonitz heißt diese Form von Fantum übrigens "Free Ernst Grandits". Pünktlich zum Start der Wettlesetage herrscht auch wieder bestes Badewetter. Klagenfurt, du musst deine Sponsoren eigentlich nur zur berühmten After Hour an den Wörthersee einladen, dann kannst du gar nicht untergehen.

Bis Sonntag täglich live bei 3sat