Politik

Wowereit-Rücktritt

31.08.14

Die Zeit der Glamour-Politiker ist endgültig vorbei

Berlins Regierender Bürgermeister Wowereit ist einer der letzten Showtime-Politiker, der sich im Zirkus der Prominenten wohlfühlte. Es folgt die große Nüchternheit. Warum Wowereit uns fehlen wird.

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Von Hajo Schumacher

Mit Klaus Wowereit verabschiedet sich einer der letzten Protagonisten jener Politikergeneration, die den Volksvertreter nicht immer, aber auch als Darsteller im Promi-Zirkus sah. Hier bei einer Party 2003.

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Die Ära begann mit Bill Clinton. "Showtime", pflegte er zu sagen, wenn er aus der "Air Force One" stieg.

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Tony Blair führte die Imagepflege weiter - hier als "Mr. Cool Britannia" samt E-Gitarre.

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Christian Wulff und seine Ehefrau Bettina ließen sich vor ihrer Trennung gern als glückliches und schillerndes Paar ablichten. Besonders gern beim Tanzen.

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Klaus Wowereit war stets ein akribischer Beobachter der Medien. Aufmerksam scannte er die Berliner Blätter, natürlich auch die überregionalen, dazu die Sonntagszeitungen und täglich die "Abendschau" vom RBB. Besonders freute sich Berlins Regierender auf den Donnerstag, wenn "Bunte" und "Gala" frische Promi-Geschichten übers Land streuten. Selbstverständlich regt er sich über ein unvorteilhaftes Foto auf oder über einen nur halb gelungenen Text. Aber noch viel mehr stört es ihn, wenn er gar nicht erwähnt wird.

Mit Klaus Wowereit verabschiedet sich einer der letzten Protagonisten jener Politikergeneration, die den Volksvertreter nicht immer, aber auch als Darsteller im Promi-Zirkus sah – zwischen Athleten und Schauspielern, Modemenschen und Schlagersängern und all jenen namenlosen TV-Moderatorinnen, die sich total für tibetischen Buddhismus interessieren und bald ihre erste eigene Schmuckkollektion präsentieren.

Wowereits Rücktritt markiert das Ende einer Ära, die mit Bill Clinton begann, von Tony Blair übernommen und durch Gerhard Schröder ins Deutsche übersetzt worden war. "Showtime" pflegte Clinton zu sagen, wenn sich die Tür der "Air Force One" öffnete. Der Brite Blair bearbeitete – "Cool Britannia" – die E-Gitarre. Schröder wiederum lernte durch den Brioni-und-Cohiba-Schock gleich zu Amtsbeginn, dass er für das deutsche Publikum vorsichtiger dosieren musste: mehr Bier als Champagner, mehr Jürgen Flimm als Carsten Maschmeyer, weniger Doris als seinerzeit Hillu.

Glamour als politische Währung

Alles war Image, jedes Zwinkern ein Symbol, das die Umfragen beeinflussen konnte. Konnte nicht schaden, sich die Popularität von Glanz und Gloria zu leihen. So optimierten Reklameleute um die Jahrtausendwende die politische Bühne TV-gerecht, Kinder wurden zum Knuddeln gecastet und Promis aus Film, Pop und Sport mit ins Bild gerückt.

Der Planet Yellow war das Zentralgestirn der jungen Berliner Republik; neidisch verfolgte das politische Spitzenpersonal, welcher Rivale in welchem Promi-Blatt wie viele Seiten bekommen hatte. Kein Zufall, dass der historische Spruch "arm, aber sexy" aus einem Exklusivbeitrag Wowereits für die "Gala" stammt.

Prom und Glam galten in den Millenniumsjahren als politische Währung, die Homestory mit Kind und Hund als Nachweis von Glaubwürdigkeit. Für Wowereit galt wie für alle anderen Politiker auch: mal Kumpel-Tour, mal Star-Kult, aber immer ganz hart gemenschelt.

Putin als letzter Vertreter der Image-Kommunikation

Auch international dominierte der Typus des darstellenden Politikers, ob Berlusconi in Italien oder Sarkozy in Frankreich. Die beiden Pfauen sind längst durch die deutlich unscheinbareren Modelle Hollande und Renzi ersetzt; selbst Obama hat die Entertainment-Komponente deutlich heruntergefahren.

So dürfte Wladimir Putin als letzter Vertreter der platten Image-Kommunikation gelten: Der Kreml-Herrscher zeigt sich gern zu Pferd, in Eishockey-Kluft oder mit nackter Brust beim Angeln, was inzwischen allerdings eher als globaler Satire-Stoff dient und weniger als Illustration von Macht. Aber jetzt bitte kein verfrühtes höhnisches Gelächter; bei Kanzler Kohl wurde einst über die Wirkung einer Brille debattiert, während Rudolf Scharping erst der Bart abgenommen und ihm dann eine viel zu schicke italienische Designerklamotte für Modefotos übergestülpt wurde.

Eine Generation lang galt Politik als Unterabteilung des Designs und der Politiker als Leinwand, auf dem sich nach Belieben ein Image malen und übermalen ließ. Regieren als unterhaltsame Endlosserie, die in einem angenehmen Fond aus Persönlichem und Privatem schwamm. Weil Politik allein die Bürger langweile und gleichzeitig überfordere, so die Annahme der Marketingmenschen, muss mit unpolitischen, aber identifikationsstiftenden Details ein Generalvertrauen aufgebaut werden.

Ob Westerwelle oder Fischer, Wulff oder zu Guttenberg – sie alle tänzelten über den Boulevard, präsentierten sich als weltläufige Macher und nette Kerle von nebenan, zeigten schicke Anzüge und dicke Zigarren vor, spillerige Beine in gewagten Laufhosen und Partnerinnen wie Trophäen.

Dann kam die Generation Merkel

Volksvertreter, die AC/DC hören, Currywurst essen und ihrer Frau im Fernsehen Liebeserklärungen machen, werden schon keine ganz schlechten Gesetze abliefern. Und abends zieht man noch ein wenig um die Häuser, wegen der Vernetzung. Dass Spitzenkandidat Stoiber im Wahlkampf 2002 die deutsche Jugend sichtlich angestrengt in der Berliner Diskothek "42 Grad" heimsuchte, ging damals halbwegs unter. Heute wäre der Mann für derlei Anbiederei gnadenlos filetiert worden.

Dann kam die Generation Merkel: weder Kumpel noch Star, dafür immer auf Distanz. Das Private wurde homöopathisch dosiert, die Abteilung Hollywood ebenfalls, dafür wurde das Image mit unerträglich entertainmentfreien Aussagen poliert. Während sich Clement, Biedenkopf, Stoiber, Koch im Charmieren und Machen positionierten, zitieren Scholz, Lieberknecht und Sellering heute lieber Verwaltungstexte. Und Partys meiden sie auch.

Die Zeitenwende erfuhr schmerzhaft der frühere Wirtschaftsminister Philipp Rösler, der sich stolz beim Joggen in San Francisco fotografieren ließ. Was beim Moppelgrünen mit Regierungsabsicht knapp 20 Jahre zuvor als Nachweis von Zähigkeit und Leistungswillen durchging, kam 2013 als das an, was es war: billiges Image-Gebimmel.

Volksvertreter sollen am Schreibtisch rackern

Warum aber funktionieren die Rezepte der politischen Reklame heute nicht mehr? Paradox wie Deutschland ist, verlangt ausgerechnet ein party- und feierwütiges Land von seinen Volksvertretern, dass sie gefälligst am Schreibtisch rackern, statt mit Upgrades in Millionärsvillen zu jetten. Die Mehrheit der Bürger möchte seine Volksvertreter eben nicht als Nebendarsteller im Konfettigeschäft sehen, sondern eher auf der Seite der Sinnstifter und Seelsorger, fleißig, integer, unauffällig, bodenständig, lieber in C&A als in Brioni.

Wie dem guten Hirten hat es dem idealen Volksvertreter nicht um Geld und Luxus zu gehen, sondern um den Dienst am Nächsten. Natürlich darf er auf Fotos und ins Fernsehen, aber idealerweise in leicht schief gelaufenen Schuhen, die den unermüdlichen Einsatz fürs Gemeinwohl belegen. Glaubhafte Macht rollt lieber leise mit Elektrokleinwagen vom Carsharing durchs Land als mit dem dröhnenden Ferrari.

Die ostdeutsche Protestantin Angela Merkel hat diese mitunter fast vorwurfsvolle Bescheidenheit von klein auf im Pfarrhaus gelernt und verinnerlicht: Wanderurlaub, Kartoffelsuppe, VW Golf, Kleider ohne Preisschilder, das Privatleben bis auf Kuchenstreusel-Anekdoten weitgehend abgeschirmt. Außer wohldosierten WM-Auftritten gönnt sich die Kanzlerin kaum glamouröse Auftritte. Ja klar, der jährliche Besuch in Bayreuth – aber konsequenterweise dauern die Wagner-Aufführungen viele Stunden und das Gestühl ist höchst unbequem. Post-Show-Politiker wissen: Zurückhaltung schlägt Dauerpräsenz, mediale Vorsicht verlängert das politische Leben. Denn fast jeder kam ins Schlittern, der sich zu weit auf den Boulevard wagte, ob Scharping, Wulff oder Guttenberg.

Die Erfahrungen mit den Promi-Storys

Erfahren in der digitalen Medienwelt, haben die deutschen Wähler offenbar einen Lernprozess durchgemacht. TV-Shows wie "DSDS" oder "Dschungelcamp" haben Millionen beigebracht, was früher nur Intellektuelle raunten – alles Inszenierung. Herrschte früher naive Bewunderung für Show und Stars, weiß heute jeder Grundschüler, dass die meisten Promi-Storys ziemlich lausige Erfindungen von Produktmanagern sind, die Diätpillen oder Schmuckkollektionen verhökern wollen.

Die Abkehr vom Party- und Promi-Zirkus zieht sich durch alle Berufsstände. Früher dominierten Heldengestalten und Lautsprecher wie Jürgen Schrempp, Ron Sommer oder Josef Ackermann den Dax, heute managen unauffällige, aber keineswegs erfolglose Typen wie Kurt Bock (BASF), Rüdiger Grube (Deutsche Bahn) oder Heinrich Hiesinger (ThyssenKrupp).

Dass sich ein Top-Manager im Alter von 50 Jahren relativ lautlos und ohne Not von der Spitze eines Weltkonzerns zurückzieht, um noch mal was Neues zu versuchen, wäre vor zehn Jahren undenkbar gewesen. Der frühere Telekom-Chef René Obermann hat es einfach getan, ganz ohne Inszenierungen und Pensionsansprüche.

Kerngeschäft in der Hauptstadt ist Party

Besonders auffällig ist der gesellschaftliche Wandel beim Fußball zu beobachten. Wurden Lothar Matthäus oder Stefan Effenberg erst durch Schlagzeilen zum Leben erweckt, legen die meisten Kicker heute mehr Wert auf Ruhe. Wurde das Berufsbild der Spielerfrau einst durch Erotik-Shootings und Handtaschen-Vorzeigen geprägt, halten sich die meisten Partnerinnen inzwischen angenehm zurück.

Gerade für einen Berliner Regierungschef bringt der Bescheidenheit-Imperativ allerdings arge Probleme mit sich. Denn qua Amt hat der Regierende das Kerngeschäft der Hauptstadt zu betreuen, und das ist nun mal die Party, ob Fashion Week, Berlinale oder ITB. Kann sich Wowereits Nachfolger plötzlich auf ein Wässerchen beschränken und kurz vor acht verschwinden, weil er daheim die "Tagesschau" gucken muss? Na, viel Spaß. Wer nicht als "Partymeister" beschimpft wird, muss sich als "Spaßbremse" verhöhnen lassen. Höchste Zeit für etwas mehr Glam in der Politik.

Hajo Schumacher ist Wowereit-Biograf und Autor der "Berliner Morgenpost"


Sie tänzelten über den Boulevard: Joschka Fischer, Gerhard Schröder und Klaus Wowereit (v.
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Foto: Silke Bachmann Sie tänzelten über den Boulevard: Joschka Fischer, Gerhard Schröder und Klaus Wowereit (v.l.)
Rücktritt
So arm, aber sexy war die Zeit mit Wowereit
Rücktritt
Klaus Wowereit über seine größte Niederlage
Klaus Wowereits Karriere in Bildern

Am 16. Juni 2001 ließ sich Klaus Wowereit mit den Stimmen von SPD, der damaligen PDS und den Grünen wählen. Nach 13 Jahren tritt er jetzt ab – und der 61-Jährige ahnt, dass Langeweile "neue Kräfte" freisetzt.

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Foto: Getty Images

Wowereit stand vor allem wegen des BER-Desasters in der Kritik.

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Im September 2011 hatte er seinen dritten Wahlsieg in Folge gefeiert. Zehn Jahre zuvor war er ...

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Wowereit (r.) mit seinem Lebensgefährten Jörn Kubicki.

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