Kultur

Wenzel Storch

22.10.14

Das Lattenkreuz der Katholiken

Bei seiner Fangemeinde gilt der Filmregisseur Wenzel Storch als "der deutsche Terry Gilliam". Nun inszeniert er erstmals Theater: einen psychedelischen Trip in die katholische Aufklärungsliteratur.

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Von Stefan Keim

Der Prälat und der Penis. Sanft erzählt ein Gottesmann zwei aufmerksam lauschenden Messdienern von den Funktionsweisen des männlichen Geschlechtsorgans. Ob es sich um eine katholische Idylle oder ein pädophiles Inferno handelt, liegt im Auge des Betrachters. Das Theaterdebüt des Filmemachers Wenzel Storch ist keine aggressive Satire mit Blick auf die Skandale in der Odenwaldschule und anderswo. Sondern eine ironische Huldigung an verklemmte Zeiten, die noch gar nicht so lang her sind.

Wenzel Storch ist einer von Deutschlands seltsamsten Kinoregisseuren. Seine drei Filme fanden nur ein kleines Publikum, aber die Fans verehren ihn enthusiastisch. Manche vergleichen seinen surrealen Witz und die anarchische Poesie mit den Werken Terry Gilliams. In seiner vor Kurzem erschienenen Autobiografie "Meine Filme" berichtet Wenzel Storch von seiner streng katholischen Erziehung, die er vor 25 Jahren im Film "Der Glanz dieser Tage" verarbeitete. "Ich wollte einen römisch-katholischen Propagandafilm drehen", erzählt der 53-Jährige heute. Eine noch auf Super-8 gedrehte Szene im Stil der Augsburger Puppenkiste hat er in sein Theaterstück eingebaut. Da sammeln Kinder die Popel aus ihren Nasen und bringen sie als Geschenke zum Vatikan.

In seinem Hildesheimer Atelier beherbergt Wenzel Storch eine unfassbare Sammlung schräger Devotionalien. Besonders die katholische Sexualerziehung nach dem Zweiten Weltkrieg hat es ihm angetan. Der vor einem Jahr im biblischen Alter verstorbene Würzburger Prälat Bertold Lutz war damals ein Bestsellerautor. "Peter legt die Latte höher" heißt eins dieser Bücher, das Jungs beim "Größerwerden" unterstützen soll. Nach Stellen unfreiwilligen Humors braucht man nicht lange zu suchen. Lutz lässt seinen erotischen Fantasien freien Lauf, fantasiert von aufblühenden Gärten und bringt sogar seine Erlebnisse als Bomberpilot im Zweiten Weltkrieg in manche Geschichte ein.

Es wäre leicht, diese Obskuritäten auszustellen und zu karikieren, was für wunderliche Auswüchse die Unterdrückung sexueller Triebe in der katholischen Kirche hervorbringt. Die gerade zu Ende gegangene Synode im Vatikan, die nur einen flauen Kompromiss im Umgang mit Homosexuellen und Geschiedenen hervorgebracht hat, gab der Premiere einen perfekten aktuellen Rahmen.

Doch Wenzel Storch geht es um Grundsätzliches, Wege zur Sexualität sind sein Lebensthema. Er will Berthold Lutz und andere katholische Erotomanen nicht an den Pranger stellen, sondern die skurrile Poesie ihrer Werke herausarbeiten. Dabei ist die Ausstatterin Pia Maria Mackert eine perfekte Partnerin. Sie hat einen psychedelischen Blumengarten in knallbunten Farben entworfen. Phallische Pflanzen mit Zähnen, Stengeln, Blüten, die aussehen, als hätten sich Captain Kirk und Mr. Spock von der Enterprise auf den Planeten eines wahnsinnigen Weltraumbotanikers gebeamt.

Phallische Pflanzen mit Zähnen, Stengeln, Blüten sehen aus, als hätten sich Captain Kirk und Mr. Spock von der Enterprise auf den Planeten eines wahnsinnigen Weltraumbotanikers gebeamt

"Komm in meinen Wigwam" heißt diese "Pilgerreise in die wundersame Welt der katholischen Aufklärungs- und Anstandsliteratur". Doch der zitierte Heino-Schlager bringt einen auf eine falsche Fährte. Es geht Wenzel Storch – wie auch seinem Weggefährten Jörg Buttgereit oder früher Christoph Schlingensief – um mehr als eine Trashparade. Nämlich um die ehrlichen Träume hinter dem schlechten Geschmack. Im Studio des Dortmunder Schauspiels findet eine Art Gemeindeabend statt. Wie in seinen Filmen arbeitet Wenzel Storch vor allem mit Laien. Aus den Jugend- und Seniorengruppen am Dortmunder Theater hat er sich Spieler gesucht, die Messdiener und -dienerinnen sowie den Sexprediger verkörpern. Damen des Dortmunder Sprechchores hüpfen als Pflanzen über die Bühne und haben in Nonnentracht ein knuffiges Ballett einstudiert. Während von der Tonspur die Originalaufnahme der Schola Vinzenz der Barmherzigen Schwestern von Hildesheim läuft. "Herr, hier bin ich, komm und nimm mich! Lass dein Instrument mich sein", säuseln die Gefäße Gottes inbrünstig. Nur zwei Experten werden von Profis gemimt, die Laien geben der Aufführung eine unschuldige, freundliche Atmosphäre.

"Die Glaubensfrage interessiert mich gar nicht", sagt Wenzel Storch. "Was jemand glaubt, ist mir völlig egal. Ich glaube zum Beispiel, dass Black Sabbath die beste Band der Welt ist." Bei aller Ironie, die sich natürlich doch immer wieder einstellt, ist sein halb dokumentarisches Stück wirklich eine Huldigung an die Sinnlichkeit und Opulenz der katholischen Kirche. Die Werkstätten des Dortmunder Theaters haben für diese Aufführung so viel gearbeitet wie sonst kaum für eine Studioproduktion. Die vielen Kostüme und Requisiten lassen sich in dem kleinen Raum gar nicht unterbringen. Wenn jemand während der Aufführung rausgehen würde, landete er in einem Durcheinander aus Riesenblumen, Flugzeugen und überdimensionalen Büchern.

Seit zehn Jahren hat Wenzel Storch keinen Film mehr gedreht. Er hat sich selbst diese Frist auferlegt, weil es zwölf Jahre dauerte, bis er seinen derzeit letzten Film "Die Reise ins Glück" realisiert hatte. "Ich hab das Moratorium verlängert", sagt Wenzel Storch nun. "Ich mache zehn weitere Jahre keinen Film." Weil er im Theater ein neues Medium gefunden hat? Der Künstler ist unsicher. "Warten wir doch erst mal ab, ob das hier überhaupt klappt."

Die ersten Aufführungen waren schon lange vor der Premiere ausverkauft. Das Dortmunder Schauspiel fährt gut mit seinem Konzept, neue Wege zwischen Bühne und Film zu erforschen und ungewöhnliche Kinoregisseure ans Haus zu holen. Jörg Buttgereit ("Nekromantik") ist inzwischen ein Dauergast, wird immer versierter in den Theatermitteln und bringt Serienkiller, Monstermovies und zuletzt eine tolle Neuerzählung des "Elefantenmenschen" auf die Bühne. Die bunten, opulenten, exzessiven Fantasien Wenzel Storchs passen in ihrer Verbindung aus Ironie und Sinnlichkeit ebenfalls wunderbar auf die Theaterbühne.

Nächste Aufführung 24. Oktober, weitere Termine im Dezember