01.09.2014

Kino Humor, um zu überleben

Von Borcholte, Andreas

Der kanadische Regisseur David Cronenberg hat immer abseits der großen Filmindustrie gearbeitet, nun macht er sich in seinem neuen Werk über Hollywoods Hysterie lustig.

Der FilmemacherDavid Cronenberg,71, erscheint in gelöster Stimmung zum Interview in Cannes über seinen neuen Film "Maps to the Stars". Früher sei er immer angespannt gewesen, bevor ein Film gestartet sei, heutzutage aber bewerteten die Kritiker ein Kinowerk im Internet sofort nach den Pressevorführungen. Er wisse also schon, mit welchen Reaktionen er zu rechnen habe: mit überwiegend positiven. "Maps to the Stars" startet am 11. September in Deutschland.

SPIEGEL: Herr Cronenberg, Sie haben sich erfolgreich von den großen Hollywood-Studios ferngehalten, haben als unabhängiger Regisseur gearbeitet. Nun ist ausgerechnet Hollywood das Thema Ihres neuen Films: In der Satire "Maps to the Stars" zeigen Sie die Deformation durch den Ruhm. Hatten Sie eine Rechnung offen?

Cronenberg: Nein, ich war nie besessen von Hollywood. Manchmal konnte ich mich über Hollywood amüsieren, aber nichts dort hat mich je besonders berührt oder verletzt. Ich bin in den letzten 40 Jahren immer wieder da gewesen und habe an etlichen Treffen teilgenommen, um die Finanzierung von Filmen zu besprechen. Oft musste ich lachen, weil es unglaublich komisch ist, wenn mächtige Leute in Hollywood unfassbar lächerliche Dinge von sich geben und dann auch noch erwarten, dass man sie ernst nimmt. Selbst Menschen, die intelligent und belesen sind, werden von Hollywood vergiftet, sobald sie in eine höhere Position kommen. Sie glauben dann all diese Studio-Plattitüden, dass das amerikanische Publikum ganz anders sei als das europäische - alle Leidenschaft, alles Verständnis für Film und Kunst geht zusammen mit der Moral über Bord.

SPIEGEL: Dennoch wollten Sie lange Zeit keinen Film darüber drehen. Warum nicht?

Cronenberg: Es gab schon sehr viele Filme über Hollywood. Aber als mir Autor Bruce Wagner vor ungefähr zehn Jahren das Skript zu "Maps to the Stars" gezeigt hat, war ich begeistert. Es hätte aber genauso gut von der Wall Street oder vom Silicon Valley handeln können, es musste nicht zwingend um Hollywood gehen.

SPIEGEL: Wo liegen die Gemeinsamkeiten?

Cronenberg: Wenn Leute mit viel Geld und Macht aufeinandertreffen, um gemeinsam etwas zu unternehmen, wird es immer in-

teressant. Es gibt dann die Gierigen, die Verzweifelten, die Ängstlichen. All das würde man auch in einer Geschichte über das Football-System finden. Unser Film ist also nur zum kleinen Teil eine Analyse Hollywoods. Wir zeigen nicht, worum es beim Filmemachen wirklich geht, dazu hätte ich keine Lust gehabt. Mir gefiel der komödiantische Tonfall des Drehbuchs. Man braucht Sinn für Humor, um zu überleben.

SPIEGEL: Waren Sie nie versucht, in Hollywood groß herauszukommen? Angeblich waren Sie Anfang der Achtzigerjahre für die Regie des "Star Wars"-Films "Die Rückkehr der Jedi-Ritter" im Gespräch.

Cronenberg: Ja, aber nur für ungefähr zwei Sekunden: Es gab ein Telefonat mit Produzent George Lucas, das war alles. Ich hätte auch gern "Basic Instinct 2" gedreht, und mit Tom Cruise und Denzel Washington wollte ich für das MGM-Studio den Robert-Ludlum-Roman "Der Matarese-Bund" verfilmen. Ich war also immer wieder versucht, aber es hat sich nie ergeben. Manchmal war es meine Schuld, manchmal nicht: Bevor "Der Matarese-Bund" realisiert werden konnte, ging MGM pleite.

SPIEGEL: Worin hätte der Reiz gelegen, bei einer Hollywood-Produktion mitzumachen?

Cronenberg: Ich hätte mehr Geld verdient als mit jedem anderen Film, und ich hätte ein Budget zur Verfügung gehabt, von dem ich als unabhängiger Regisseur nur träumen kann. Der Preis, den man dafür zahlt, ist allerdings die Einschränkung kreativer Freiheit. An einem bestimmten Punkt war ich tatsächlich bereit, diesen Deal zu machen. Es gibt viele Filmemacher, die das getan haben, es geht aber nicht immer gut. Denken Sie an den Schweden Lasse Hallström, der 1985 mit "Mein Leben als Hund" seinen Durchbruch erlebt hat. Er kam nach Hollywood und arbeitete drei Jahre lang an "Peter Pan", bis Steven Spielberg übernahm und "Hook" daraus machte: drei Jahre vergeudet! Du lässt dich auf Hollywood ein, und am Ende stehst du ohne einen Film da, das ist das Schlimmste. Oder es kommt ein fürchterlicher Film dabei heraus, wie bei Ihrem Landsmann, dem jungen Regisseur, der mit seinem ersten Film "Das Leben der Anderen" so einen Erfolg gehabt hat ...

SPIEGEL: Sie meinen Florian Henckel von Donnersmarck und seinen zweiten Film, die Hollywood-Produktion "The Tourist"?

Cronenberg: Ja, genau! Eine Katastrophe, ein schrecklicher Film, der seiner Karriere überhaupt nicht förderlich war. Ich hoffe, er wurde zumindest gut dafür bezahlt.

SPIEGEL: In Ihren frühen Filmen haben Sie entstellte Körper und Gesichter gezeigt. Und nun Hollywoods Schönheitswahn.

Cronenberg: In subtiler Form dreht sich "Maps to the Stars" auch um Körperlichkeit. Eine der Hauptfiguren im Film ist die eines alternden Filmstars, gespielt von Julianne Moore. Denken Sie zum Beispiel an die existenziellen Sorgen um ihre Attraktivität, die sich diese Figur macht. Auch der Kinderstar, ein Junge, ahnt: Wenn er in die Pubertät kommt, verändert sich sein Körper, er ist nicht mehr niedlich, die Stimme spielt ihm Streiche.

SPIEGEL: Der Kinderstar, den Sie zeigen, ist eine böse Parodie auf Popidole wie Justin Bieber. Er tyrannisiert seine Eltern. Ist er so despotisch, weil er spürt, dass seine Zeit als Star begrenzt ist?

Cronenberg: Ich glaube, das ist das Schicksal vieler Kinderstars. Aber was bekommen die denn durch ihre Eltern auch vermittelt? Stellen Sie sich vor, Ihre Mutter ist gleichzeitig Ihre Agentin, Ihr Vater ist Ihr Manager, und das meiste Geld, das die Familie erwirtschaftet, stammt von Ihnen, dem Kind. Sie spüren diese Macht, und Sie spüren die Angst Ihrer Eltern, wenn Sie plötzlich nicht mehr funktionieren, Drogen nehmen, Unfug anstellen - und dadurch Jobs verlieren. Dieser Druck ist enorm.

SPIEGEL: Sie zeigen in "Maps to the Stars" die Schattenseiten des Ruhms. Warum sind wir immer noch so fasziniert von Hollywood-Stars, obwohl sie schon so oft im Kino entzaubert wurden?

Cronenberg: Ein Teil davon ist sicherlich der Glanz der Vergangenheit, der goldenen Ära, die ist noch sehr präsent in den Köpfen der Menschen. Und natürlich, das darf man nicht vergessen, kommen auch immer noch extrem populäre Filme aus Hollywood. Keinem anderen Land ist es gelungen, das Kino derartig zu dominieren.

SPIEGEL: Haben Sie keine Lust, mal einen aufwendigen Superheldenfilm zu drehen?

Cronenberg: Nein, niemals! Eine Journalistin fragte mich vor einiger Zeit dasselbe. Sie sagte: Jetzt, da "Batman" bewiesen habe, dass Superheldenfilme die ultimative Kunstform im Kino sind - ob ich da nicht versucht sei. Ich wurde wütend: Superheldenfilme sind keine avancierte Kunstform, es sind Kinderfilme, die für pubertierende Jungs gemacht werden! Unabhängig davon, wie fortgeschritten die Technologie ist, bleibt das Diskurs-Level auf der geistigen Höhe eines 15-Jährigen. Es gab dann eine irrsinnige Aufregung darüber, weil es so dargestellt wurde, als hätte ich den Regisseur der letzten "Batman"-Filme, Christopher Nolan, kritisiert. Aber das war nicht mein Punkt.

SPIEGEL: Sie könnten ja einen anspruchsvolleren Superheldenfilm drehen.

Cronenberg: Trotzdem würde ich in einen kreativen Käfig gezwängt werden. Wenn man 250 Millionen Dollar für einen Film ausgibt, gibt es eine Menge Leute, die sich Sorgen machen. Als ich 2012 "Cosmopolis" drehte, war Robert Pattinson, der die Hauptrolle spielte, erstaunt darüber, dass ich alle Entscheidungen am Set allein traf. Ich sagte zu ihm: Rob, es gibt nur uns, wir beide machen diesen Film. Er hatte bis dahin nur Studioproduktionen gekannt, bei denen man mit den Bossen abstimmen muss, ob man die Farbe eines Pullovers ändern darf. Mein Budget für "Maps to the Stars" betrug 30 Millionen Dollar, wenig im Vergleich zu großen Produktionen. Aber ich hatte totale Freiheit.

SPIEGEL: Vor "Cosmopolis" - einer Adaption von Don DeLillos Roman - haben Sie lange kein eigenes Drehbuch geschrieben. Stattdessen erscheint nun Ihr erster Roman "Verzehrt" - eine Kriminal- und Liebesgeschichte. Macht es mehr Spaß, Literatur zu schreiben?

Cronenberg: Drehbuchschreiben ist kein literarisches Schreiben. Die meisten Autoren sind keine herausragenden Schriftsteller, aber sie können Dialoge. Literarisches Schreiben wäre auch hinderlich beim Verfassen eines Skripts, denn man will ja nicht zu genau das Gesicht einer Figur beschreiben, weil man nicht weiß, wer für die Rolle ausgewählt wird. Einen Roman zu bauen war für mich, wie Regie zu führen: Ich suche die Besetzung aus, bestimme die Kostüme und sogar die Orte. Die ultimative Unabhängigkeit. Ein großes Vergnügen!

SPIEGEL: Planen Sie eine Verfilmung?

Cronenberg: Ich hatte nicht den Hintergedanken, einen Roman zu schreiben, aus dem dann auf jeden Fall ein Film wird. Aber ich habe es fünf Produzenten zum Lesen gegeben, die es nun alle verfilmen wollen. Ich bin nicht sicher, ob ich das wirklich möchte. Mir ging es um das literarische Erlebnis.

Interview: Andreas Borcholte

* Mit den Schauspielern Mia Wasikowska und Robert Pattinson am 19. Mai in Cannes.

DER SPIEGEL 36/2014
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