Sonntag, 17. Januar 2016

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Die Wirtschaftsglosse Danke, Digitalisierung

Arbeiten im freien - nur möglich Danke Google, Facebook und Co.

Google, Facebook und Co. gelten ja mittlerweile als die Inkarnation des Bösen. An dieser Stelle soll einmal kurz an die Segnungen der virtuellen Welt erinnert werden. Denn am Ende des Tages zählt doch vor allem der ganz reale Lebensgenuss.

Heute die schönsten Grüße von meinem Balkon. Mit Sonnenschirm, Sommerkleid und Sandalen arbeite ich an diesem herrlichen Tag bei 30 Grad im Mai draußen. Das Parfüm meiner dunkelroten Duftrosen steigt mir in die Nase, Bienen summen um die Wandelröschen, Margeriten und Lavendelbüsche, ein angenehmes Lüftchen weht hier im vierten Stock. Behende huschen meine Finger über die Tastatur des Laptop. Die Gedanken zu diesem Text fließen geradezu schwerelos dahin.

Okay - gerade verfluchen sie den Hausmeister, der mit seinem brüllend lauten Rasenmäher das winzige Fleckchen Grün im Innenhof traktiert. Aber wozu gibt es Ohropax? Und überhaupt: Alles besser als in Socken und Sweater in meinem kühlen Nordseiten-Büro zu hocken und übellaunig an Schreibblockade wegen Sonnensehnsucht zu leiden.

Eva Müller
manager magazin
Eva Müller
Sie dürfen sich mich also wirklich als rundum glücklichen Menschen vorstellen.

Und wem habe ich dieses Wohlgefühl zu verdanken? Jawohl, der ach so gerne verteufelten Digitalisierung, Mobilisierung, Virtualisierung. Via Wlan verbindet sich mein Rechner mit dem Server der Redaktion, gerade so als säße ich in meinem Büro. Über Google kann ich jegliche Information abfragen - die Quartalsdaten von Siemens, die Geschichte der Photovoltaik, die Adresse des Gartenrestaurants für das Treffen heute Abend.

Von Facebook weiß ich, wo meine Freunde lunchen gehen. Und mein Handy liegt standby neben mir - voll auf Empfang für all die Informanten, die mir geheime Geheimnisse stecken wollen.

Deshalb will ich an dieser Stelle einmal meinen tiefempfundenen Dank aussprechen an all die Unternehmen, die derzeit als die Inkarnation des Bösen gelten. Die als Lohn für ihre mich beglückenden Dienstleistungen alle relevanten und vor allem irrelevanten Daten meines Lebens abgreifen. Die genau die geodätische Position meines Balkons bestimmen können, um festzustellen, daß ich in einer der weniger wohlhabenden Gegenden Münchens in einem Gebäude mit maximal mittlerem Wohnwert lebe. Das führt bestimmt dazu, dass ich miesere Kreditkonditionen erhalte als die Bewohner des benachbarten und sehr viel hipperen Gärtnerplatzviertels.

Auf ins Cafe Sonnenschein

Die an meinen Suchbegriffen erkennen, daß ich mich für Deutschlands großen Elektrokonzern interessiere und mir gleich ein verführerisches Angebot für ein kleines Kraftwerk und einen netten ICE zukommen lassen. Oder mich dazu verleiten wollen, meine Balkonbrüstung statt mit Blumen mit ein paar Solarpanels zu zieren. Die Speisekarte des Gartenlokals hat mich ja schon dazu überredet, heute abend nicht selbst zu kochen, sondern mir Spargelsalat und Erdbeertörtchen für 30 Euro plus pro Person zu gönnen.

Und das ist erst der Anfang: Bald wird die Handykamera erkennen, daß die alten Birkenstock-Latschen an meinen Füßen nicht im mindesten zu dem bunten Fähnchen passen, das ich gerade trage. Sofort erscheint ein Angebot für farblich perfekt abgestimmte Killerheels von Jimmy Choo zum Sonderpreis. Statt 798 heute nur 598 Euro. Nein, bei Vente Privee noch billiger für 298 Euro. Irgendwann werde ich doch wohl zuschlagen und mir die Dinger kaufen. Ist doch bekannt aus meiner Suchhistorie, daß ich ein echter Fashion-Junkie bin.

Das Mikrofon zeichnet das üble Knurren meines Magens auf und umgehend flattern die Offerten von Pizza-Service, Sushi-Shop und Salatbar auf den Bildschirm. In der Hitze lassen die Petunien die Köpfe hängen - ein Gärtnerdienst dient seinen Service an. Kein Lack auf den Zehen - hier das Frühlingsspecial vom Nagelstudio ums Eck. Und an meiner ganz offensichtlichen Leidenschaft fürs Essen wird meine Krankenkasse erkennen, daß Übergewicht droht. Die nächste Beitragserhöhung kommt bestimmt - dann mit Risikoaufschlag Fresssucht.

Die Wirtschaftsglosse im manager magazin
Jeden Freitag eröffnen Autoren aus der Print- und Onlineredaktion von manager magazin einen anderen Blickwinkel auf das Wirtschaftsgeschehen: Weniger kursrelevant, aber am Ende des Tages umso unterhaltsamer.
Tja, der Preis für die digitalen Annehmlichkeiten ist hoch. Aber ehrlich gesagt, ich muß ihn ja nur zahlen, wenn ich wirklich den ganzen Kram kaufe, der mir dank Big Data-Auswertung so angepriesen wird. Und da, hihi, schlage ich der virtuellen Wunderwelt gerne ein Schnippchen. Meine Klamotten, Schuhe und Handtaschen stammen weitgehend aus dem Secondhand-Laden. Die Nägel lackiere ich mir selbst mit dem verbliebenen Fläschchen aus dem letzten Sommer - so genau wird schon keiner auf meine Füsse starren. Und meine Blumen kann ich eigenhändig gießen - schließlich braucht jeder Mal eine kreative Pause.

So brauche ich wohl auch keinen Kredit, um den ganzen Mist aus dem Web zu bezahlen. Und bestimmt funkt meine Waage an die Krankenkasse, daß das Gewicht trotz regelmäßigen Essens stabil bleibt.

Die langweilige analoge alte Welt siegt über die digitalen Verführungen aus dem Web. Denn am Ende des Tages kommt es doch auf den realen Lebensgenuss an. In diesem Sinne verabschiede ich mich jetzt ins Cafe Sonnenschein um die Ecke. Dort gibt es einen köstlichen, preisgünstigen und kalorienarmen Mittagstisch unter der Markise und fröhliche Gespräche mit den Nachbarn - statt eine einsame fetttriefende Pizza aus dem Netz an den Schreibtisch.

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