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StartseiteDLF-MagazinSatire als Chance für Politik23.10.2014

"Skandal" um Heute ShowSatire als Chance für Politik

Kommentare, E-Mails, Petition. Die Empörung über das angebliche Drehverbot im Bundestag für die Heute Show war groß. Für die Sendung beste Werbung, im Genre Satire das ohnehin wieder boomt – und genau darüber kann sich die Politik freuen.

Von Jens Rosbach

Der Moderator Oliver Welke und Comedian Martina Hill freuen sich am Freitag (26.03.2010) in Marl bei der Verleihung des Adolf-Grimme-Preises über ihre Auszeichnung.  (picture alliance/dpa/Jörg Carstensen)
Beliebt bei Zuschauer und Kritik: Die von Oliver Welke (l.) moderierte Heute Show. (picture alliance/dpa/Jörg Carstensen)
Weiterführende Information

Improvisierte Satire im ZDF
(Deutschlandfunk, Corso, 17.06.2013)

"Satire ist kein Himbeerwasser"
(Deutschlandfunk, Kultur heute, 06.03.2013)

"Schlechte Nachrichten: Die parlamentarische Demokratie ist in diesem Land leider friedlich eingeschlafen. Die Debatten werden immer schnarchiger, der leere Bundestag ist mittlerweile die Volkskammer 2.0!"

Vergangenen Freitag, in der ZDF-Heute Show. Moderator Oliver Welke berichtet, dass sein Scherz-Team in den Reichstag wollte, um die faulen Volksvertreter zu besuchen.

"Dann hat uns der Pressesprecher des Bundestages – und ich will hier keine Namen nennen – aber es ist Dr. Ernst Hebecker mitgeteilt, die Heute Show darf nicht mehr im Bundestag drehen, denn was wir machen, sei ja, ich zitiere, keine politisch-parlamentarische Berichterstattung!"

Ein Skandal! So der erste Eindruck. Später stellt sich heraus, dass die Heute Show lediglich für ein bestimmtes Projekt nicht in den Reichstag durfte – genauer: in die Lobby beziehungsweise auf die Zuschauerränge – weil die Hausordnung dies verbietet.

Beste Werbung

"Ich finde unglaublich genial, dass die Heute Show diesen Trick hinbekommen hat, keine Drehgenehmigung zu bekommen. Weil eine bessere Werbung kann man sich überhaupt nicht wünschen."

Berlin-Charlottenburg, im Hotel Steigenberger. Hier wohnt derzeit Profi-Satiriker Mathias Richling. Der 61-Jährige – übermüdet, mit Schlapper-Pulli und in Turnschuhen – präsentiert momentan in den Berliner Wühlmäusen sein Programm Deutschland to go.

"Nicht zu drehen – das ist das Originelle. Und da hat der Bundestag hohe satirische Dienste geleistet."

Ein Einzelfall?

Der Komiker, der regelmäßig im SWR-Fernsehen auftritt, hat selbst nur in einem einzigen Fall Protest aus der Politik erlebt: Nämlich als er vor Jahren die sogenannte Düsseldorfer Flugaffäre auf die Schippe nahm – darunter die gesponserten Flüge des einstigen SPD-Ministerpräsidenten Johannes Rau, später Bundes- und Altbundespräsident.

"Der Altbundespräsident Rau – selig – fand das nicht so besonders komisch und hat sich dann auch mir gegenüber persönlich echauffiert, wollte dass ich mich entschuldige – das habe ich natürlich nicht getan. Aber ansonsten nehmen die sich zurück."

Nach Richlings Erfahrung ducken sich Politiker lieber weg, wenn öffentlich über sie gelästert wird.

"Die haben gelernt: Lieber halte ich meine Klappe und lass es einmal über die Bühne gehen, wenn ich dagegen protestiere, dann merken sich das die Leute, da war doch was und so weiter."

Aus dem TV-Programm Mathias Richlings:

"Und heute testen wir also Wolfgang Schäuble, der sagt: Sparen heißt nicht, Geld nicht auszugeben, was man hat, sondern sparen heißt weniger Geld auszugeben von dem, was man gar nicht besitzen wird."

Satire im Fernsehen wieder in mode

"Also momentan sind wir in einer Zeit, in der Satire sozusagen wieder boomt."

Benedikt Porzelt ist Satireforscher an der Uni Marburg. Der Experte beobachtet, dass immer mehr politische Klamauk-Sendungen ins Programm kommen. So testet das ZDF derzeit seine sogenannte Polit-Impro "Vier sind das Volk". Und die ARD plant unter anderem ein Primetimeformat mit Barbara Schöneberger. Laut dem Medienwissenschaftler ist die Humor-Offensive eine Chance, mehr Politik unter das Volk zu bringen.

"Im Frühjahr 2014 wurde unter anderem in 'Der Anstalt' komplett über das Rentensystem und die Rentenproblematik berichtet. Und das ist natürlich schon sehr interessant, dass eben unterhaltsam mit Themen umgegangen wird, die wahrscheinlich im ernsten Diskurs keine junge Zuschauerschaft überhaupt erreichen würde."

Allerdings hänge es von der Qualität der Satiresendung ab, wie empfänglich die Zuschauer für politische Inhalte sind. In vielen Shows – auch der Heute Show – gebe es auch immer wieder billige und klischeehafte Scherze auf Stammtischniveau, urteilt der Fachmann.

"Das heißt, im Endeffekt ist natürlich auch beim Zuschauer, der gefrustet ist von Politik, auch ein Lustgewinn, wenn man eben einfach auf Politiker schimpft und sagt, die sind alle nicht ganz sauber, die sind alle verlogen – das ist natürlich eine Herangehensweise, die Frustpotenzial verstärken kann und eben im Endeffekt zu politischem Desinteresse führen kann, Politikverdrossenheit."

Die Marburger Scherzforscher haben sich derzeit – mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft – auf den neuesten Trend gestürzt: Dass sich immer mehr Politiker freiwillig in Quatsch-Sendungen präsentieren. Wie Kanzleramtsminister Peter Altmaier, der im vergangenen Jahr – noch als Bundesumweltminister – in der Heute Show auftrat.

Der beleibte CDU-Politiker sprach – rein fachlich – über die Energiewende, dann umfasste er demonstrativ seinen mächtigen Bauch.

"Ich habe jedenfalls für mich persönlich das Problem der Speicherung regenerativer Energien schon ganz gut gelöst."

Was bringt der Komik-Einsatz für den Volksvertreter? Wissenschaftler Porzelt bilanziert:

"Der Vorteil ist in einer humorvollen Rahmung, dass die Politiker auch die Distanz abbauen können zum Wähler. Andererseits kann dies aber auch dazu führen, dass Politiker im Zweifelsfall auch als sozusagen Witzfigur dargestellt werden können. Es kommt immer drauf an, wie die Satire tatsächlich angelegt ist. "

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