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Denn der Gipfel des Glücks besteht in der Unterwerfung - der Frau unter den Mann, wie sie in dem sadomasochistischen Skandalroman "Geschichte der O" beschrieben wird, des Menschen unter Gott, wie sie der Islam im Wortsinn anstrebt. "Was ist der Koran letztlich anderes als eine sehr lange, schwärmerische Lobeshymne? Ein Lob des Schöpfers und der Unterwerfung unter seine Gesetze." So urteilt Michel Houellebecq in seinem neuen Werk. Der Autor ist, das macht sein Erfolgsgeheimnis seit seinem Bestseller "Elementarteilchen" von 1998 aus, ein Meister der subversiven Provokation. Beiläufig und wie selbstverständlich Gedanken zu äußern, die andere, fast alle anderen, für blasphemisch halten könnten, bereitet ihm ein stilles Vergnügen. Als Romancier hatte man ihn fast schon abgeschrieben, nachdem er zuletzt eher als Performance-Künstler mit dem Aussehen eines versoffenen Pennbruders oder eines Crystal-Meth-Junkies aufgetreten war. Nun meldet er sich als radikaler Zeitdiagnostiker und schwärzester Kulturpessimist mit einer politischen Fiktion zurück, die zu Ende denkt, was der rechtsextreme Front national in Frankreich und die Pegida-Demonstranten in Deutschland als Schreckgespenst Europas in eine furchterregende Zukunft projizieren: den Untergang des Abendlandes und die Machtübernahme des Islam. Es ist ein Antizipationsroman, der mit 150 000 Exemplaren ausgerechnet am Tag des Anschlags auf die Redaktion von "Charlie Hebdo" in die französischen Buchläden kam und schon zum kommenden Wochenende auch auf Deutsch erscheint. Er entwirft einen Albtraum, der zum Schluss in einen verheißungsvollen Neubeginn umschlägt: Europa, der alte Kontinent mit großartiger Vergangenheit und trostloser Gegenwart, erhält eine neue Chance, die Chance auf eine zweite Blüte und die Wiederauferstehung des Römischen Reichs als Imperium unter dem Banner des Propheten. Das Attentat verändert die Lektüre und den Resonanzraum des Werks. Das Buch spielt mit Ängsten und spielt sie im selben Atemzug herunter. Es vermeidet bewusst jede Beleidigung des Islam, schont die religiösen Empfindungen der Muslime und verletzt stattdessen den zivilisatorischen Hochmut der französischen und europäischen Mehrheitsgesellschaft. Houellebecq lässt ein gefeiertes System implodieren, das der liberalen westlichen Demokratie, und keiner im Roman regt sich auf. Der Islam triumphiert bei ihm über die vermeintliche Dekadenz des christlichen Abendlandes und spiegelt die Fata Morgana einer islamisch-orientalischen Morgenröte am Horizont der Zeit, indem die Fortschrittsutopie der europäischen Geistesgeschichte für gescheitert erklärt wird: Die Zukunft liegt im Rückschritt, Ende des Kulturkampfes. Houellebecqs perfide Pointe gipfelt darin, dass sein heutiger Ekel angesichts der sozialen Verhältnisse und der politischen Klasse in Frankreich seine früheren Ausfälle gegen den Islam als "dümmste Religion" weit übertrifft. "Ich hätte nichts zu bereuen" - so lautet der letzte Satz des Icherzählers François, eines Literaturwissenschaftlers an der Pariser Sorbonne, wenn er ohne Bedauern auf den Verlust seines früheren Lebens zurückblickt und ins islamische Zeitalter eintritt. In ihrer Lakonie, die keinen Widerspruch zulässt, ist diese Aussage eine ungeheure Zumutung, weil sie eine Art Schlussurteil unter mehr als 200 Jahre europäischer Geschichte seit der Französischen Revolution zieht. Sie enthält eine erbarmungslose Absage an das, was das Wesen und das Selbstverständnis des Westens bildet: die Aufklärung, die Idee des Menschen als rationales und autonomes Subjekt. "Fuck autonomy", lässt Houellebecq sein fiktionales Alter Ego François sagen, der sich eingesteht, dass er "ohne Probleme und sogar mit großer Erleichterung auf jede Art von beruflicher oder geistiger Verantwortung verzichtet hatte". Freiheit und Selbstbestimmung überfordern den Menschen, das Stadium des Glücks tritt dann ein, wenn man die Last seines eigenen Lebens ablegt und an eine höhere Macht übergibt. Das ist die antihumanistische philosophische Botschaft, die Houellebecq verkündet. Kants "Pflicht gegen sich selbst", die er einmal zitiert, ist nichts als eine fragwürdige und unerträgliche Bürde. Diese Kritik am Grundprinzip der westlichen Kultur ist in ihrer Radikalität nicht zu überbieten. Houellebecq steigert sie ins Komische und Entsetzliche zugleich, indem er seinen traurigen, einsamen, freudlosem Sex und betäubendem Alkohol zugetanen Helden durch die Leere seiner Existenz stolpern lässt. Auf Houellebecqs schrecklichen Humor trifft zu, was er François, einen Spezialisten der französischen Literatur des 19. Jahrhunderts und insbesondere des nicht allzu bekannten Schriftstellers Joris-Karl Huysmans, feststellen lässt: Dessen Humor sei einzigartig, "er lässt dem Leser einen Vorsprung, lädt ihn ein, sich schon im Voraus über den Autor zu mokieren, über die Exzesse seiner greinenden, grauenhaften oder komischen Beschreibungen". Der Erzähler fasziniert wegen seiner bösen, teilnahmslosen Ironie, die zugleich abstößt und amüsiert, im Ton eine Satire vortäuscht und doch eine todernste Bestandsaufnahme unserer "noch westlichen und sozialdemokratischen Gesellschaften" im Zustand der Agonie vornimmt. Sein Protagonist bewegt sich durch das Geschehen wie in einer Taucherglocke. Trash oder Kunst? Bei Houellebecq hebt sich die Unterscheidung auf. Das allein beantwortet womöglich die Frage. Paris im Frühling 2022. Präsidentschaftswahlen stehen bevor, Frankreich befindet sich am Rand eines Bürgerkriegs zwischen dem radikalen muslimischen Bevölkerungsanteil und der einheimischen Rechten. Das Massaker in der Redaktion der Satirezeitung hätte bestens in das Szenario des Romans gepasst - nur dass Houellebecq hohnlachend die Fronten zwischen Gut und Böse, Recht und Terror verwischt: Die Islamisten, die Attentäter von heute, sind die Friedensstifter von morgen. Eines Abends, François hat gerade am Cocktailempfang einer Fachzeitschrift zur Literatur des 19. Jahrhunderts teilgenommen, steht die gesamte Place de Clichy in Flammen. Die linksliberalen Medien - also fast alle - und die Politiker verschweigen die Zusammenstöße, um die Unruhen nicht noch weiter anzuheizen. Der Nachrichten-Blackout, der die Franzosen apathisch stimmen soll, ist keine kluge Strategie. Er verbreitert nur den Graben zwischen dem Volk und jenen, die in seinem Namen sprechen: Politikern und Journalisten, was notwendigerweise zu etwas Chaotischem, Gewalttätigem und Unvorhersehbarem führen muss, so viel wird dem apolitischen François klar. Der Front national unter Marine Le Pen, in den Umfragen die mit Abstand stärkste Partei, führt auf seiner Schlussdemonstration ein riesiges Transparent mit der Aufschrift "Wir sind das französische Volk" sowie viele kleinere Schilder mit sich, auf denen steht: "Das ist unsere Heimat" (Pegida lässt aus Dresden grüßen). Fünf Jahre zuvor war François Hollande wider Erwarten noch einmal gewählt worden, weil alle sich gegen Marine Le Pen zusammengeschlossen hatten. Doch jetzt, am Ende seiner zweiten Amtszeit, die genauso erfolglos wie die erste verlaufen ist, droht das politische System, das auf dem Wechselspiel zwischen Mitte-rechts und Mitte-links beruht, mit einem Schlag zu zerspringen. Denn die Muslime haben eine eigene Partei gebildet und ziehen mit ihrem Vorsitzenden Mohammed Ben Abbes in die Wahl. Darin dem früheren Vorbild der Kommunistischen Partei ähnlich, haben die Muslimbrüder ein dichtes Netz von Jugendverbänden, Kultureinrichtungen und karitativen Hilfsorganisationen geknüpft. Ihre Taktik der sozialen Durchdringung findet Anklang über den religiösen Rahmen hinaus. Ben Abbes, der an französischen Elitehochschulen studiert hat, moderat auftritt und wohlgesetzte Reden über die Gemeinsamkeit moralischer und religiöser Werte hält, schafft die Sensation und kommt knapp vor dem Kandidaten der Linken in die zweite Runde gegen Marine Le Pen. Zwischen den Wahlgängen eskaliert die Lage. Die Universität wird ohne Vorankündigung bis auf Weiteres geschlossen. Myriam, die jüdische Freundin von François (die Frauen pflegen in der Regel nach einem Jahr mit ihm Schluss zu machen, weil sie "jemanden kennenlernen"), verkündet, dass sie nach Israel auswandert. Und das könnte diesmal das Ende seines Liebeslebens sein, wie er sich bekümmert eingesteht. François ist ein widersprüchlicher Macho, kein dominantes Alphamännchen, sondern eine fatalistische Persönlichkeit; theoretisch ist er für die Rückkehr zum Patriarchat, praktisch zieht er sich am liebsten schon um vier Uhr nachmittags mit einer Schachtel Zigaretten, einer Flasche Hochprozentigem und einem Buch ins Bett oder auf die Couch zurück. Bei Houellebecq ist der Macho-Held immer auch ein ziemlich nutzloser Schlaffi, einer mit der Überzeugung, dass "die Liebe eines Mannes nichts anderes als die Anerkennung für das ihm bereitete Vergnügen" ist. Am frühen Morgen des zweiten Wahlsonntags verlässt François in Vorahnung einer unmittelbar bevorstehenden Katastrophe Paris und braust in seinem VW Touareg, den er offenbar in einem Anfall machistischer Abenteuerlust gekauft hatte, über die leere Autobahn dem Tal der Dordogne entgegen. "Es war etwas im Gange in Frankreich." Das Radio verstummt, die Raststätte, an der er tanken will, ist menschenleer; augenscheinlich wurde sie überfallen, die Kassiererin liegt tot in einer Blutlache auf dem Boden, auf dem Parkplatz entdeckt er zwei erschlagene junge Nordafrikaner. Im nächstgelegenen Hotel des Dorfs Martel (symbolschwer nach dem fränkischen Mauren-Bezwinger Karl Martell benannt) ist François der einzige Gast. Die Apokalypse scheint nah wie in einem Weltuntergangsfilm. Schockiert schließen die Sozialisten und die bürgerlichen Konservativen sich dem Kandidaten der Muslimbrüder an, um den Front national zu verhindern. Ben Abbes wird der neue Präsident im Elysée-Palast und ernennt den katholischen Zentrumspolitiker François Bayrou, den es wirklich gibt und der von Houellebecq als harmloser Trottel verspottet wird, zum Premier. Die Linken und die Bürgerlichen - für beide Lager hat Houellebecq nur Verachtung - merken nicht, dass sie in eine Falle gelockt werden. Indem sie ihre laizistischen Prinzipien zugunsten ihrer antirassistischen Tendenzen opfern, geben sie den Weg frei für einen systematischen Umbau der Gesellschaft: Die Muslimbrüder machen sich alsbald daran, die traditionelle Moral und damit einhergehend das patriarchalische Familienbild wieder herzustellen. Bei den Katholiken stoßen sie damit auf unverhohlene Sympathie. Der wahre Feind der Muslime, den sie über alles fürchten und hassen, so lässt sich François von einem Bekannten aus dem Inlandsgeheimdienst erklären, sei nicht der Katholizismus: Es ist der Säkularismus, der Laizismus und atheistische Materialismus einer liberalen Gesellschaft. Darin zumindest sind sie sich mit der extremen Rechten und dem "identitären Block" einig. Zurück in Paris, beobachtet François Veränderungen auf den Straßen und in den Einkaufszentren. Das zuvor dort herumlungernde Gesindel verschwindet komplett; die Kriminalitätsrate sinkt spektakulär. Auch die Kleidung der Frauen hat sich verändert: Alle tragen Hosen und darüber eine Art lange Baumwollbluse, die den halben Oberschenkel bedeckt. "Die Betrachtung von Frauenärschen, dieser kleine träumerische Trost, war unmöglich geworden." Seltsam jedoch: Frankreich, vor der Wahl noch in einem Zustand fiebriger Gewaltbereitschaft, findet unter Ben Abbes zu einer Zuversicht zurück, wie sie seit dem Wirtschaftswunder nach dem Krieg nicht mehr geherrscht hatte. Die Arbeitslosigkeit nimmt dramatisch ab - vor allem wegen des massiven Ausstiegs der Frauen aus der Erwerbstätigkeit. Die Familienzulagen werden erhöht, die Ausgaben für Bildung gesenkt. Statt zum Studium rät die Regierung zum Erlernen einer handwerklichen Tätigkeit. Große Industriekonzerne verlagern ihre Standorte ins Ausland, dafür gedeihen kleine Familienbetriebe. Das Land ist auf dem Weg zu einem neuen Gesellschaftsmodell - einem traditionell-konservativen, einem reaktionären Modell sogar, und das ohne chaotische und gewaltsame Verwerfungen, mit einer stillschweigenden und verhaltenen Akzeptanz der Bevölkerung. Nicht ein islamistischer Gottesstaat entsteht - Alkohol, das unverzichtbare Lebenselixier des unglücklichen François, bleibt verfügbar -, sondern ein rückwärtsgewandtes kleinbürgerliches Idyll, wie eine Wiederkehr mittelalterlicher Ordnung in der modernen Unordnung des 21. Jahrhunderts. Ben Abbes, der den Terrorismus der Dschihadisten für dilettantisch hält, vollzieht eine samtene Revolution. Er strebt die Durchsetzung eines neuen Zivilisationsprojekts für ganz Europa an, ein Reich, das von Skandinavien bis nach Nordafrika reichen soll, größer als das römische Imperium, das Kaiser Augustus - sein heimliches Vorbild - vor über 2000 Jahren begründete. Wie der Kommunismus endet auch das westliche Modell nicht mit einem Knall, sondern einem Wimmern. Der Zusammenstoß der Kulturen findet nicht statt, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit lösen sich in Luft auf. Dem Gesellschaftskritiker Houellebecq, dieser Karikatur eines angewiderten Dandys voller Weltschmerz, geht es in Wahrheit gar nicht darum, mit einer Schreckensfantasie zu schockieren oder Hassgefühle anzufachen. Er beschreibt im Gegenlicht der islamischen Utopie die Trostlosigkeit der französischen (und europäischen) Gegenwart, in der jeder willenlos dem Drang ausgeliefert ist, sich in der von Geld und Gier getriebenen Marktgesellschaft einen beneidenswerten Platz zu erkämpfen, "elektrisiert von der Anbetung austauschbarer Ikonen: Sportler, Modedesigner, Internetkreative, Schauspieler, Models". Zerbrochene Illusionen führen geradewegs in die Depression, und depressiv ist die Grundstimmung der condition humaine laut Houellebecq. Seine Helden warten auf den Tod. Hinter Houellebecqs Maske des grinsenden Zynikers zeigt sich die Fratze des Entsetzens. Er führt den Leser durch ein Spiegellabyrinth, ohne ihm Halt oder Orientierung zu bieten. Er springt ständig zwischen paradoxen Extremen hin und her, wechselt von der Posse zur Andacht, vom Sarkasmus zur Romantik, von der Verzweiflung zur Sehnsucht. Krude Sexszenen folgen auf metaphysische Betrachtungen, erzählerische Episoden auf philosophische Exkurse. Das ergibt einen zwar spannenden und unterhaltsamen, aber literarisch eher mittelmäßigen Roman. Der von Selbstmordgedanken geplagte Hochschullehrer François, gerade mal 44 Jahre alt, bekommt nach seiner Entlassung durch die neue islamische Universität (bei vollen Pensionsbezügen) plötzlich eine Chance auf ein zweites Leben. Der Rektor, ein Konvertit und früherer Rechtsnationaler, bietet ihm die Wiedereinstellung an, falls er zum Islam übertrete. Und das Verlagshaus Gallimard schlägt ihm vor, die Gesamtausgabe seines Lieblingsschriftstellers Huysmans in der angesehenen Bibliothèque de la Pléiade, dem in Leder gebundenen Literaturkanon, zu betreuen. Huysmans ist der Spiegel und der Dialogpartner, in dem sich Houellebecqs Erzähler François betrachtet und mit dem er sich unterhält, sozusagen sein Doppel vom Ende des 19. Jahrhunderts, einer Epoche, die ebenfalls von einer diffusen Untergangsstimmung geprägt war und auf die große Katastrophe des Ersten Weltkriegs zutaumelte. Seine Romane tragen vielsagende Titel wie "Gegen den Strich" oder "Tief unten". Huysmans (1848 bis 1907), der geistige Gefährte von François und Houellebecq, war ein müder, dekadenter Ästhet, der sein bürgerliches Leben als kleiner Beamter im Innenministerium verbrachte und schwierige, ihn am Ende abstoßende Liebschaften unterhielt. Ein alter Sünder, der gern ein Heiliger werden wollte, ein Naturalist, der sich zum Spiritualisten wandelte. Seine Romanfiguren sind traurige Junggesellen, angeekelt von den Widrigkeiten des Alltags und dem Sittenverfall ihrer Milieus. Vor dem Geruch der Verwesung, den er überall erschnupperte, floh Huysmans in raffinierte Kunstbetrachtungen und die Bekehrung zu einem inbrünstigen Katholizismus. Als Laienbruder schloss er sich dem Benediktinerorden an und suchte in geistlicher Einkehr die Reinwaschung vom Dreck der Sünde und die Befreiung von der Seichtheit der Existenz. Den Bruch mit sich selbst, den Huysmans vormachte, ahmt der in seiner Verlassenheit von Weinkrämpfen geschüttelte François nach: In Ermangelung einer liebenden Frau sucht er Zuflucht im Göttlichen. Er begibt sich zur Retraite ins Kloster Ligugé nicht weit von Poitiers, dort, wo Joris-Karl Huysmans sich um 1900 als Benediktineroblate an die Ordensregeln band und zwei Jahre als weltlicher Bruder verbrachte. Offenbar hat Houellebecq, wie er sagt, ernsthaft die Möglichkeit erwogen, seinen Protagonisten ebenfalls in den Schoß der Mutter Kirche zu schicken, in eine Umgebung voller Milde, Demut, Hoffnung und Erwartung, wo die Gegenwart des Herrn Jesus Christus die Seele mit Freude wärmen würde. Doch das Christentum hat in der Begegnung mit dem Rationalismus der Moderne und den daraus folgenden faulen Kompromissen seine Kraft verbraucht, so empfindet Houellebecq es jedenfalls. Den Widerspruch zwischen klösterlicher Einkehr und profanen Bedürfnissen lässt er François auf denkbar primitivste Weise lösen: Nach drei Tagen gibt François auf, weil er in seiner Zelle nicht rauchen darf. Statt vom Schmutz in die Läuterung wie bei Huysmans führt Houellebecqs Weg stets verlässlich weiter in den Morast. Der Islam aber ist in diesem Roman von anderem Zuschnitt. Das Christentum hat der diesseitigen Welt gegenüber allerlei Vorbehalte, Satan ist der "Fürst dieser Welt". Der Islam dagegen "akzeptiert die Welt, und er akzeptiert sie als Ganzes, er akzeptiert die Welt, wie sie ist", erklärt der Rektor der Universität, ein Nietzscheaner, im Bekehrungsgespräch. Statt an die poetische Schönheit des Universums als Glaubensgrund denkt der Huysmans-Fan allerdings lieber an den Lebensstil, den er im luxuriösen Stadtpalais des Rektors vorgeführt bekommt: "eine vierzigjährige Ehefrau für die Küche, eine fünfzehnjährige für andere Dinge ... zweifellos hatte er noch eine oder zwei Ehefrauen im Alter dazwischen". Natürlich lässt sich auch die Polygamie mit Argumenten, zum Beispiel der natürlichen Auslese, rechtfertigen, und die des Rektors verfügen über große Überzeugungskraft. Als François in Aussicht gestellt wird, dass er "ohne große Probleme drei Frauen" haben könne, sie würden ihm vermittelt, mit Zufriedenheitsgarantie in Bezug auf ihr Aussehen, sind die Würfel gefallen. Er entschließt sich zur Konversion in der Großen Pariser Moschee. Unter den gegebenen politischen Umständen ein opportunistischer Akt der Kollaboration, gewiss, aber ihm "stünde jetzt ein supercooler Lebensabschnitt bevor", und er hätte, mit einem großzügigen Gehalt aus saudischen Quellen dotiert, alle Zeit der Welt, seine Fußnoten für die Huysmans-Gesamtausgabe zu bearbeiten. "Die muslimischen Frauen waren ergeben und gefügig, damit könnte ich fest rechnen, sie waren ganz in diesem Sinne erzogen worden, und im Grunde genommen reicht das, um auf seine Kosten zu kommen." Geht so Europa zugrunde? Wahrscheinlich wirken Houellebecqs platte Provokationen nur noch auf Feministinnen. Aber auch die täuschen sich, man muss nicht darauf hereinfallen. Denn dieser Mann sehnt sich nach der Erlösung durch eine Frau. Er findet sie nur nicht, weil er wohl immer noch dem merkwürdigen und, man kann es nicht anders sagen, pathologischen Glauben anhängt, eine Frau müsse Madonna und Hure zugleich sein. ■ Aus dem Französischen von Norma Cassau und Bernd Wilczek. DuMont Buchverlag, Köln; 280 Seiten; 22,99 Euro. DER SPIEGEL 3/2015 Alle Rechte vorbehalten Vervielfältigung nur mit Genehmigung der SPIEGEL-Verlag Rudolf Augstein GmbH & Co. KG. Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen diesen Artikel jedoch gerne verlinken. Unter http://www.spiegelgruppe-nachdrucke.de können Sie einzelne Artikel für Nachdruck bzw. digitale Publikation lizenzieren. DER SPIEGEL 3/2015 Titelbild Dieses Heft kaufen Heft lesen Der digitale SPIEGEL Diese Ausgabe jetzt digital lesen Die digitale Welt der Nachrichten. Mit interaktiven Grafiken, spannenden Videos und beeindruckenden 3-D-Modellen. Sie lesen die neue Ausgabe noch vor Erscheinen der Print-Ausgabe, schon freitags ab 18 Uhr. Einmal anmelden, auf jedem Gerät lesen - auch offline. Optimiert für Windows 8, Android, iPad, iPhone, Kindle Fire, BlackBerry Z10 sowie für PC/Mac. Abo-Angebote Den SPIEGEL lesen oder verschenken und Vorteile sichern! 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