Archiv

Was darf Satire?

Jesko Friedrich, Foto: Christian Spielmann © Christian Spielmann
Fotograf: Christian Spielmann

Politische Satire ist seit jeher fester Bestandteil des
öffentlich-rechtlichen Programmangebots. Doch wie verhält es sich mit
Comedy, die vor allem beim jüngeren Publikum beliebt ist? Die Grenzen



Jesko Friedrich, Autor, Regisseur und Darsteller in der NDR
Satire-Sendung Extra 3 mit dem Versuch einer Definition und Abgrenzung

Was darf Satire?
Darf Satire scherzhaft mit Drittem Reich und Holocaust umgehen?
Darf Satire Jürgen Klinsmann in einer Fotomontage als Jesus am Kreuz
zeigen?
Darf Satire sich mit Comedy vermischen?
Kurt Tucholsky Mitherausgeber Weltbühne Schriftsteller 1931 Bild
vergrößern


die ich anführen werde, sind Grenzfälle, zu denen es gegensätzliche
Meinungen gibt. Tucholsky beantwortet im Jahre 1919 die Frage "Was darf
die Satire?" noch mit "Alles". Würde er 90 Jahre später angesichts des
Holocaust und beispielsweise Oliver Pochers Umgang damit immer noch
dieselbe Antwort geben? Klären wir zunächst, was Satire eigentlich ist.
Später werden wir dann versuchen, die oben genannten Fragen zu
beantworten. Ich werde mich dabei auf aktuelle deutsche Fernsehsatire
konzentrieren und insbesondere Beispiele aus meinem Arbeitsalltag beim
Satiremagazin extra 3 anführen. Satire, wie ich sie zum Beispiel bei
extra 3 mache, will - nach Möglichkeit unterhaltsam - informieren, aber
vor allem eine klare und kritische Meinung äußern und deutlich Stellung


funktioniert oder falsch läuft. Im besten Falle lacht der Zuschauer,
lernt etwas dabei und setzt diese Erkenntnis dazu ein, aktiv an der
Beseitigung von Missständen mitzuwirken. Wie will Satire diese Ziele
erreichen?



Im Jahr 1795 schreibt Schiller: "In der Satyre wird die Wirklichkeit
als Mangel dem Ideal als der höchsten Realität gegenübergestellt." Noch
kämpferischer formuliert Tucholsky: "Der Satiriker ist ein gekränkter
Idealist: Er will die Welt gut haben, sie ist schlecht, und nun rennt
er gegen das Schlechte an." Also: Satire ist in erster Linie gegen
etwas gerichtet, und zwar gegen eine als fehlerhaft und schlecht
empfundene Wirklichkeit in Form von Personen, Institutionen und
Geisteshaltungen. Diese werden kritisch mit einem Ideal verglichen, dem
sie nicht entsprechen. Der ironische Humor, mit dem dies oft geschieht,
ist dabei nur ein Vehikel, das ohne den kritischen Anspruch der Satire
zu reiner Komik bzw. Comedy wird.
Dieter Hildebrandt, Scheibenwischer © Sven Simon Fotograf: Sven Simon


Nahm Meldungen, die er verlas, noch ernst: Dieter Hildebrandt.

Dementsprechend sollte die zentrale Frage an jeden satirischen Beitrag,
egal in welchem Medium, sein: "Wer ist der Feind?" Oder, wem das zu
martialisch klingt: "Wer ist verantwortlich für einen (veränderbaren)
schlechten Zustand?" Eine kurze Bemerkung zum Ideal, dem die Satire
verpflichtet ist: Dieses Ideal kann sich natürlich überall im
demokratischen Spektrum befinden, und so ungerne man gut gemachte
Satire des politischen Gegners sieht, so wenig dürfte man von
vornherein sagen: "Das darf Satire nicht". Was Satire nicht darf, ist,
kein Ideal haben. Hinsichtlich dieses Problems vergleicht Isabella
Amico di Meane (in ihrer Dissertation "Fernsehsatire. Möglichkeiten und
Grenzen eines Genres im deutsch-italienischen Vergleich", Berlin/Turin
2009, S. 19) Harald Schmidt mit Dieter Hildebrandt: "Während


ironisch-sarkastisch, öfter zynisch spielt." Nihilismus statt
Idealismus - das ist lässig, macht die Welt aber nicht besser, doch
genau das ist ja das Anliegen der Satire.

Voraussetzungen oder Wann ist ein "Feind" (Gegenstand) satiretauglich?

Kommen wir zurück zum "Feind". Grundsätzlich gilt: Jeder hat das Recht
auf satirische Kritik. Christen, Juden, Moslems, Behinderte und
Behindernde, Frauen, Männer, Intersexuelle - sie alle taugen zum Feind,
wenn sie ein entsprechendes Fehlverhalten an den Tag legen.


Punkt a) führt in der Praxis dazu, dass der Film nicht gemacht wird. An
einem gewählten Feind festzuhalten, obwohl die Fakten ihn vollständig
entlasten, wäre nicht Satire, sondern Propaganda. In diesem
Zusammenhang muss auch gesagt werden, dass Satire eines mit Sicherheit
nicht darf, und das ist: Fakten verfälschen. Ein zuspitzendes
Fokussieren auf die Fehler des Feindes darf, ja muss sogar vorgenommen
werden. Satire muss wehtun, sonst bleibt sie wirkungslos. So schreibt
Tucholsky: "Die Satire muß übertreiben und ist ihrem tiefsten Wesen
nach ungerecht. Sie bläst die Wahrheit auf, damit sie deutlicher wird."
Hingegen wäre es aber unredlich, zum Beispiel eine statistische


oder Ähnliches) kurzerhand zu verdoppeln, um etwa das Fehlverhalten der
Verantwortlichen noch deutlicher herauszustellen. Letztendlich wäre so
ein Vorgehen auch kontraproduktiv, da der Satiriker selbst
angreifbar würde. Hier ist auch ironische Verfremdung, mit der Satire
gerne arbeitet, keine Entschuldigung: Die Fakten, die ironisch oder in
anderer verfremdeter Form präsentiert werden, müssen trotzdem wahr


palästinensischen Zivilbevölkerung und der Terror gegen Israel sind so
untrennbar miteinander verbunden, dass die Fokussierung auf eine der
beiden Parteien als satirisch verstandenen "Feind" oft als überzogen
parteiisch erscheint. Beide Konfliktparteien als Feinde in einem
Beitrag funktionieren nicht gut, da das Fehlverhalten der einen Partei


erlaubt, aber lass es lieber.

Punkt c) konstituiert für mich ein satirisches Tabu. Satire tritt nicht
nach unten. Das arme Würstchen ist nicht der Feind. Als Beispiel für
einen Grenzfall möchte ich einen extra-3-Beitrag anführen, in dem ich


Noch ärgerlicher ist in diesem Zusammenhang die zum ausschließlichen
Zwecke der Belustigung veranstaltete, forcierte Verhöhnung Schwächerer,
die sich als Satire ausgibt. Beispiel: Im Jahr 2004 kommentierte Stefan
Raab das Foto einer jungen türkischen Mutter, die die Schultüte für ihr
Kind trug, mit dem Satz: "Die Dealer tarnen sich immer besser." Vor
Gericht wollte Raab dies als "zulässige Satire" verstanden wissen.
Gegen diese Inanspruchnahme muss sich die Satire verwahren. Diese
Äußerung ist keine Satire, schon gar keine zulässige. Die Frage lautet
wie immer: Wer ist der Feind? Junge Mütter? Junge Türkinnen? Warum?
Ähnlich verhält es sich mit dem Fall einer 16-jährigen Schülerin, über


interviewt einen jungen Erwachsenen zum neuen Film mit Will Smith und
äfft schließlich das schlechte "Ti-Äjtsch" seines Interviewpartners
genüsslich nach. Ist das Satire? Wo ist der Feind? Wenn es keine
satirische Kernaussage und kein moralisches Ideal gibt, mit dem das
Gezeigte kontrastiert wird, dann ist das Ganze natürlich nur Comedy,
wobei sich dann aber die Frage stellt, warum Pocher eine


Sprachfehler zu verhöhnen. Denn die Naziuniform (mit der "ARD-1"
anstelle eines Hakenkreuzes auf der Mütze) wurde ja, wie ich es
verstanden habe, damit gerechtfertigt, dass sie in satirischem Kontext
zu verstehen sei.
*



* Teil 1: Missstände beseitigen
* Teil 2: Drittes Reich und Holocaust in der Satire

Drucken