Großes Dossier zum Arabischen Frühling: Aus Unterdrückten werden Helden
Aktualisiert am Freitag, 20.01.2012, 17:43 · von FOCUS-Online-Redakteurin Susanne KlaiberMächtige Revolutionen und zaghafte Revolutiönchen: Die Arabische Welt hat ihr Gesicht verändert. Die Bespitzelten, Betrogenen, Unterdückten haben sich mehr getraut, als alle dachten. Wie die Arabische Welt künftig aussehen könnte und woher Menschen ihren Mut nahmen, erklärt FOCUS Online in einem großen Überblick.
Die Menschen in der arabischen Welt haben alle verblüfft: Die Experten, die eine so ungeheure Welle von Protesten, von Umwälzungen nie für möglich gehalten hätten. Ihre Herrscher, von denen sich viele an ein komfortables Unterdrücker-Leben gewöhnt hatten. Und viele Bürger waren selbst erstaunt, über das, was sie sich trauten.
Die Wut hat sich lange angestaut in den Ländern von Marokko bis Jemen. Große Probleme, die die Menschen belasteten, glichen sich, wie Günter Meyer, Arabische-Welt-Experte von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, und Asiem El Difraoui von der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beobachtet haben. Es gab repressive Herrschaftsformen mit allem, was dazugehört: Korruption, Vetternwirtschaft, Unterdrückung der Opposition. Die Rechtsstaatlichkeit fehlte. „Immer wieder wurde die Würde der Menschen von den Herrschenden und ihrem Machtapparat mit Füßen getreten“, sagt Meyer.
Bislang war es den Herrschern trotzdem gelungen, den Deckel auf den brodelnden Gesellschaften zu halten – „mit brutaler Gewalt durch Sicherheitskräfte, Militär und bis zu 14 Geheimdienste pro Land“, sagt Meyer. Dass sich der Zorn ausgerechnet im Frühling 2011 Bahn brechen konnte, lag an verschiedenen Faktoren. „Entscheidend für die Mobilisierung der Massen waren die neuen Kommunikationstechniken, das Zusammenspiel von Facebook, Youtube, dem klassischen Internet, dem relativ frei berichtenden arabischen TV-Sender El Dschasira und anderen Medien. Man konnte so endlich kommunizieren, wie repressiv die Regime wirklich sind“, sagt El Difraoui. Nach dem Sturz Ben Alis in Tunesien hätten die Menschen dann die Angst vor den Mächtigen verloren.
„Die meisten Herrscher sind sich bewusst, dass sie die Forderungen nach Reformen ernst nehmen müssen, wenn sie sich an der Macht halten wollen“, sagt Meyer. Dieses Bewusstsein kann zu einer Öffnung führen – oder zu noch mehr Unterdrückung. Die meisten Golfmonarchien haben weniger politische Reformen eingeleitet, als versucht, die Opposition durch Milliardenausgaben für bessere Lebensbedingungen „wegzukaufen“, wie El Difraoui es nennt.
Selbst der Sturz korrupter Regime muss auch nicht zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führen. „Die Menschen erwarten nach der Revolution, dass es ihnen besser geht, stattdessen zeichnet sich zunächst eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse ab. Die Wirtschaft etwa in Tunesien und Ägypten leidet, weil Touristen und Investoren ausbleiben. Dementsprechend steigt die Arbeitslosigkeit und die Unzufriedenheit mit dem Übergangsregime“, erklärt Meyer.
Die Wut hat sich lange angestaut in den Ländern von Marokko bis Jemen. Große Probleme, die die Menschen belasteten, glichen sich, wie Günter Meyer, Arabische-Welt-Experte von der Johannes-Gutenberg-Universität in Mainz, und Asiem El Difraoui von der renommierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) beobachtet haben. Es gab repressive Herrschaftsformen mit allem, was dazugehört: Korruption, Vetternwirtschaft, Unterdrückung der Opposition. Die Rechtsstaatlichkeit fehlte. „Immer wieder wurde die Würde der Menschen von den Herrschenden und ihrem Machtapparat mit Füßen getreten“, sagt Meyer.
„Das Volk war sauer“
Die Misswirtschaft und extremes Bevölkerungswachstum – im Jemen etwa ist laut Meyer die Hälfte der Bevölkerung jünger als 18 – führten dazu, dass immer mehr junge, auch gut ausgebildete Menschen auf den Arbeitsmarkt strömten, ohne dort eine Chance zu haben. „In manchen Ländern ist ein Drittel der Bevölkerung arbeitslos. Unter den 15- bis 25-Jährigen liegt die Arbeitslosigkeit meist noch wesentlich höher“, sagt Meyer. Selbst in Ägypten und Tunesien, wo die Wirtschaft enorm gewachsen sei, erklärt El Difraoui, hätten sich die Hoffnungen der Menschen nicht erfüllt, das Geld sei nicht vernünftig verteilt worden, die Preise für Grundnahrungsmittel stiegen. Kurz: „Das Volk war sauer.“Bislang war es den Herrschern trotzdem gelungen, den Deckel auf den brodelnden Gesellschaften zu halten – „mit brutaler Gewalt durch Sicherheitskräfte, Militär und bis zu 14 Geheimdienste pro Land“, sagt Meyer. Dass sich der Zorn ausgerechnet im Frühling 2011 Bahn brechen konnte, lag an verschiedenen Faktoren. „Entscheidend für die Mobilisierung der Massen waren die neuen Kommunikationstechniken, das Zusammenspiel von Facebook, Youtube, dem klassischen Internet, dem relativ frei berichtenden arabischen TV-Sender El Dschasira und anderen Medien. Man konnte so endlich kommunizieren, wie repressiv die Regime wirklich sind“, sagt El Difraoui. Nach dem Sturz Ben Alis in Tunesien hätten die Menschen dann die Angst vor den Mächtigen verloren.
„Eine völlig andere Welt“ nach dem arabischen Frühling
Der arabische Frühling hat die gesamte Region verändert, da sind sich die Experten einig. Meyer geht sogar so weit zu sagen, sie sei eine völlig andere. Die Frage ist nur, ob die Situation für die Menschen besser wird. Pauschale Aussagen sind unmöglich.„Die meisten Herrscher sind sich bewusst, dass sie die Forderungen nach Reformen ernst nehmen müssen, wenn sie sich an der Macht halten wollen“, sagt Meyer. Dieses Bewusstsein kann zu einer Öffnung führen – oder zu noch mehr Unterdrückung. Die meisten Golfmonarchien haben weniger politische Reformen eingeleitet, als versucht, die Opposition durch Milliardenausgaben für bessere Lebensbedingungen „wegzukaufen“, wie El Difraoui es nennt.
Selbst der Sturz korrupter Regime muss auch nicht zu einer Verbesserung der Lebensbedingungen führen. „Die Menschen erwarten nach der Revolution, dass es ihnen besser geht, stattdessen zeichnet sich zunächst eine Verschlechterung der Lebensverhältnisse ab. Die Wirtschaft etwa in Tunesien und Ägypten leidet, weil Touristen und Investoren ausbleiben. Dementsprechend steigt die Arbeitslosigkeit und die Unzufriedenheit mit dem Übergangsregime“, erklärt Meyer.
Für Ägypten sieht El Difraoui Europa in der Pflicht, dem Land zu strukturellem Wandel zu verhelfen, etwa indem EU-Zölle abgeschafft werden. „Es ist eine einmalige Gelegenheit, die man unterstützen muss. Wie es in den 90er-Jahren beim Umbruch im Kommunismus der Fall war.“
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von Halma
zum Bevölkerungswachstum haben doch auch die hochgeputschten und zum Sieg gebombten Helden nichts zu sagen. Bisher ist nur der Islam auf dem Vormarsch. Antwort schreiben
von klampoq
Fragt sich nur wie lange die bestehen. Bislang sind alle Helden im Wahn umgekommen. Die Hinterbliebenen haben dann die Folgen ausgebadet! Antwort schreiben
von Petermann
Es ist richtig formuliert, das neue Gesicht ist nicht klar erkennbar, denn es gibt zu viele Gruppen mit unterschiedlichen Interessen, die sie alle für sich durchsetzen möchten. Es fehlt nach meinem Ermessen die Einigung aller Gruppen auf ein einziges gutes Regierungsmodell das schnell den Frieden und die Ordnung herbeiführen kann. Offenbar wird dies in immer mehr Ländern ein Problem. Antwort schreiben
von Halma 20.01.2012
Trugbilder wurden in den Westmedien hochstilisiert. Das ist alles. Nichts Positives zu entdecken (oder es paßt den Amis nicht).
von k-l-a-r-t-e-x-t-e-r
in ihren Heimatländern. Das Volk in den arabischen Frühlingsländern war sauer, aber die Deutschen sind wegen der ständigenn zuwanderung und den Belastungen für die zahlende Bevölkerung auch schon sauer. Aber nicht auszudenken ist, wenn die hierher gekommenen nicht bekommen was sie wollen und sauer werden. Ja, der arabische Frühling treibt auch seltsame Blüten. Antwort schreiben
von HBMaenchen
enttäuschter Hoffnung kann schnell ein Rückafall in konservative, altertümlich anmutende, islamische Werte gehen...denke die Rattenfänger warten da nur drauf. Antwort schreiben
von Halma 20.01.2012
Den Islamismus möchte ich nicht in Verbindung mit "konservativ" bringen. Rattenfänger trifft da schon eher zu.
von mischmasch
Den Bürgern des arbabischen Frühlings geht es nach den Revolutionen nicht besser sondern eher schlechter, denn sie bewegen sich eher in ein früheres Zeitalter zurück. Und die westliche Mentalität kann man dort nicht zwangsweise durch Kriege einführen. Begreifen wir es doch endlich. Antwort schreiben
von Halma 20.01.2012
Es fragt sich nur, was aber dann ? Der Islamismus wurde doch von diesen Potentaten einigermaßen in Schach gehalten und der Fanatismus gegen Israel auch.
von Stephan59
Es wäre fatal vom Westen zu glauben, dass diese Länder unbedingt unsere westlichen Werte übernehmen wollen. Antwort schreiben
von Cybertobi
mögen zwar die alten Diktaturen beseitigt haben, aber wer heute, nachdem sich in sämtlichen Ländern der sogenannten Jasmin-Revolution ein Durchmarsch der radikalen Islamisten an die Macht abzeichnet, immer noch von "Demokratiebewegung" und "Befreiung" spricht, zeigt damit nur seine Unkenntnis der wirklichen Entwicklung in diesem Teil der Welt. Die Revolutionen mögen vor allem in Tunesien und Ägypten von einem Teil der Jugend angestoßen worden sein, der tatsächlich an mehr persönlicher Freiheit und Demokratie interessiert war, aber sie wurde leider schnell von jenen Kräften übernommen und instrumentalisiert, die eher die Scharia und islamische Gottesstaaten im Sinn haben. Bei Revolutionen gewinnt oft der, der am skrupellosesten und am besten organisiert ist und das sind dort die Islamisten. Antwort schreiben
von Halma 20.01.2012
Wer hat den diesen Begriff aufgebracht ? Das paßt doch überhaupt nicht. Von einer Revolution kann bei der Unterstützung durch den Westen in aller Form nicht nur durch Bomben auf Zivilisten keine Rede sein.
von k-l-a-r-t-e-x-t-e-r
arabischen Frühlingsgebieten fest installiert, die Rechtsstaatlichkeit garantiert die Scharia, die Öl- und Gasvorkommen kontrollieren westliche Konzerne und die Flüchtlinge sind beim europäischen Steuerzahler herzlich willkommen. Gute Arbeit. Antwort schreiben
von Halma 20.01.2012
Eine durchaus lesbare Zusammenfassung des realen Geschehens.
von schrego
Solange man es nicht schafft Staat und Religion zu trennen, wird der arabische Frühling alsbald verwelken. Europa hat Jahrhunderte zu diesem Prozeß gebraucht, der den Arabern noch bevorsteht. Zunächst mal sind die Islamisten auf der Siegesspur und diese werden ihre eigenen Vorstellungen in Sachen Demokratie und Freiheit durchsetzen. Antwort schreiben
von upwsznbg 05.12.2011
einen hohen Wetteinsatz wagen!
von dietli
So lange dieser Glaube eine breite Ausbildung und Information der Völker verhindert, nimmt er den ersten Platz ein. Wer befürchten muss, ausgepeitscht, gesteinigt oder sonstwie hingerichtet zu werden, bleibt brav bei der Stange -schon gerade in Clan- und Familienstrukturen. Die Chance, daß aus Mulahs und Aiatollahs Diktatoren werden (was sie im Glauben schon sind) ist groß, siehe Iran. Antwort schreiben
von Halma 20.01.2012
Da kann auch ich leider nicht widersprechen. Außer der Demokratie des Westens kenne ich keine Andere. Diese müßte in geeigneter Form Anerkennung finden, was aber mit dem Islam nicht machbar ist.