Sonderserie 1968 NVA-Truppen machen Halt an der tschechoslowakischen Grenze
Der 21. August 1968 – Die Invasion der Sowjetunion und ihrer Verbündeten in die Tschechoslowakei. Das Ende des Prager Frühlings. Hören Sie jetzt den fünften Teil unserer 68er-Serie: NVA bleibt zu Hause - DDR-Truppen machen Halt an der tschechoslowakischen Grenze
21. August 1968 (Foto: www.68.usd.cas.cz)
Der Süden der DDR gehörte zu den Hauptaufmarschgebieten der
Warschauer-Pakt-Truppen. Von hier aus überquerten in der Nacht zum 21.
August 1968 hunderttausende Soldaten die Grenze zur Tschechoslowakei. Nicht
dazu gehörten aber die zwei Divisionen der Nationalen Volksarmee mit etwa
16500 Soldaten, die an der Grenze auf den Befehl zum Einmarsch warteten. In
buchstäblich letzter Minute wurde ihre Beteiligung per Direktive aus
Moskau verhindert. Sehr zum Missfallen Walter Ulbrichts. Die DDR-Propaganda
suggerierte das Gegenteil und nahm dabei zum Teil groteske Formen an wie
dieses Lied zeigt.
„Der Klassenfeind er wurde frech, in Prag wollt er kassieren. Doch das war Spekulantenpech, weil wir die Waffen führen.“
Erst über 30 Jahre später weiß man es besser. Der Potsdamer Militärhistoriker Rüdiger Wenzke erläutert, warum sich die Legende von einer Beteiligung der DDR so lange halten konnte.
Walter Ulbricht (Foto: Haus der Geschichte)
„Man konnte sich ja gar nichts anderes vorstellen, weil die NVA in
westlichen Medien als aggressiv dargestellt wurde. Zudem verfügte man
über ungenaue Informationen. Zum Beispiel stützte man sich auf
Zeitzeugenberichte von Tschechen und Slowaken, die deutsche Einheiten in
Bratislava gesehen haben wollen. Das Erstaunliche ist, dass es keine
Gegendarstellung der DDR gab. Anfangs vermutlich aus
Geheimhaltungsgründen. Später aber wohl eher, um die Tatsache zu
verdrängen, dass der große Bruder Sowjetunion seinen kleinen Waffenbruder
DDR eben nicht gleichberechtigt behandelt hatte. Vor diesem Hintergrund
wurde eine diffuse Legende von der Waffenbrüderschaft geboren, und diese
Legende wurde in der DDR bis 1990 aufrechterhalten.“
Dann erst lüfteten ehemalige Offiziere der entsprechenden NVA-Divisionen die Decke des Schweigens. Außerdem wurden die Archive im ehemaligen Ostblock geöffnet. Damit erhielten Historiker Zugang zu bislang geheimen Dokumenten, die die Wahrheit ans Licht brachten.
Leonid Breschnew
Der Verzicht Moskaus auf ostdeutsche Soldaten bei der Invasion hat mit den
historischen Erfahrungen der Tschechen und Slowaken während des Zweiten
Weltkrieges zu tun. Selbst linientreue tschechoslowakische Kommunisten, die
den Einmarsch befürworteten, verwahrten sich gegen deutsche
Okkupationstruppen in ihrem Land. Die Erinnerungen an die Besetzung durch
die Wehrmacht waren noch zu frisch. Der Grazer Geschichtsprofessor Stefan
Karner argumentiert ähnlich.
„Da hat Breschnew doch ein gewisses historisches Sensorium. Und daher entscheidet er, dass die NVA in den Kasernen bleiben soll.“
Am 1. Dezember 1989 entschuldigt sich die erste frei gewählte Volkskammer der DDR beim tschechischen und slowakischen Volk für die Beteiligung der NVA an der Invasion – noch im Glauben an die Legende von der sozialistischen Bruderhilfe. Trotzdem zu recht, findet Rüdiger Wenzke.
„Auch wenn keine NVA-Divisionen eingerückt sind kann von einer militärischen Nichtbeteiligung der DDR keine Rede sein. Ich nenne nur die logistische Unterstützung der sowjetischen Truppen, die Schließung der Grenze, die Sicherung des reibungslosen Einmarsches, die Bereitstellung der zwei Divisionen. Eine moralische Schuld der DDR steht für mich außer Frage.“





