Zur Navigation springen Zum Inhalt springen
 

<< voriger Artikel dieser Rubrik nächster Artikel dieser Rubrik >>

Wir haben eine intelligente Grenze gebaut

Grenzüberwachung

Grenzüberwachung

Die Absicherung der Festung Europa wird vorangetrieben und die Genfer Konvention ausgehöhlt unter dem Vorwand, es seien doch alles "Wirtschaftsflüchtlinge" - wird es auch hier bald australische Verhältnisse geben?

Über 10 Mrd. Euro Rüstungsausgaben, zehntausende Einsatzkräfte, 10.000e in Gewahrsam, mindestens 3777 Tote – das ist nicht etwa die Bilanz des Irak-Krieges, sondern der Europäischen Einwanderungspolitik der letzten 10 Jahre. Die Europäischen Union antwortet darauf mit einer weiteren Verschärfung nach dem Motto „Freiheit kann nicht grenzenlos sein“.
Beide oben genannten Zitate stammen von Olaf Rehrmann, ein Vertreter Deutschlands im IGC (Intergovernmental Consultations on Asylum, Refugee and Migration Policies in Europe, Northern America and Australia). Dort vermutet man die konkrete Ausformung der Festung Europa. Gemeinsam mit Jonas Widgren, dem Koordinator, sowie dem ehemaligen Sektionschef des Innenministeriums Manfred Matzka und einem Schweizer wurde im Juli 1991 damit begonnen die Grundrisse der heutigen Abschottungspolitik auszuarbeitet: das Schengen-Abkommen.

Seit dem gibt es die sogenannte „Intelligente Grenze“ – ein Sammelsurium von Strategien (zB geänderte Entwicklungshilfe, globale Durchsetzung der Menschenrechte) und konkreten abgestimmten Maßnahmen, die ein einziges Ziel haben: niemand soll sie überqueren, der/die nicht ausdrücklich von der EU gewünscht wird. Darunter fällt der neue „eiserne Vorhang“ um die spanische Enklave Ceuta auf Afrika: ein 8 km langer, mehrere Meter breite Betonwall, auf dem ein doppelter Stacheldrahtzaun installiert ist, der zusätzlich Kameras, Bewegungsmelder und Wachtürme umfasst. Oder Druck auf das Kandidatenland Tschechien, ihre Gesetze so zu ändern, dass Flüchtlinge inhaftiert werden können.
Weiters Verbindungsmänner zu Fluggesellschaften an jedem größeren Flughafen der Welt, die die Papiere potentieller AsylwerberInnen überprüfen damit sie gar nicht erst nach Europa abheben. Gelingt es doch, drohen der Fluggesellschaft bis zu mehreren 10.000 Euro Strafe.

Aber auch an der Österreichischen Grenze wurde aufgerüstet: Hubschrauber mit Wärmebildkameras, CO2-Sonden um atmende Menschen in LKWs aufzustöbern, Überwachungskameras; „Wir haben keinen neuen eisernen Vorhang errichtet“, behauptet Rehrmann trotzdem. Die Worte des UNO-Generalsekretärs wirken angesichts dieser Tatsachen zu diplomatisch: „Es gibt Anzeichen, dass Europa seine Pflicht Flüchtlinge nach internationalen Recht zu schützen aus den Augen verliert.“ Gerade angesichts des enormen Wohlstandes und des langfristigen Migrationsbedarfs dürfe das nicht eintreten. Er bezieht sich dabei auf die Genfer Flüchtlingskonvention von 1951, die das Menschenrecht auf Asyl formuliert.

Dabei bleibt sie aber in einem relativ engen Rahmen: Asyl ist dann zu gewähren, wenn eine Person „... aus begründeter Furcht vor Verfolgung wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen ihrer politischen Überzeugung ...“ flieht. Hier fehlen zB Bürgerkriege, frauenspezifische Fluchtgründe oder die Weigerung, sich an einem Krieg zu beteiligen.

Verabschiedet wurde dieses Menschenrecht vor dem Hintergrund der Rückschiebung tausender JüdInnen in den 30ern, die dann im Holocaust getötet wurden. Trotz der Konvention kamen allerdings alleine 18 aus Deutschland abgeschobene Personen in ihren Herkunftsländern zu Tode und 44 weiter verschwanden spurlos. Anfang der 90er flohen geschätzte 370.000 Personen aus dem Kosovo – zumindest bis 1992 ohne Chance auf Asyl.

Anstatt Menschen im Zweifelsfall zu schützen ist Europas Antwort auf die Probleme eine Aushöhlung der Genfer Konvention. Der britische Außenminister Straw spricht etwa von einer „notwendigen Modernisierung“ und der Vorbeugung von Flüchtlingsströmen. In der Zwischenzeit redet man in Österreich nicht viel darüber – man tut es einfach. Die Asylgesetznovelle Innenminister Strassers versucht wieder mal dem europäischen Abwärtstrend vorauszueilen.

Widersprüche zur Genfer Flüchtlingskonvention oder der österreichischen Verfassung werden mit dem Hinweis auf die - medial hochgespielte – „Asylflut“ ignoriert. „Wir können nicht Anlaufstelle Nummer 1 für Wirtschaftsflüchtlinge sein“, so Strasser. Dass ohnehin nur etwa 5 % der weltweit rund 36.000.000 Flüchtlinge in die EU kommen und nur rund 30.000 Menschen nach Österreich wollen relativiert wohl die Aussage des Innenministers.

Erwähnt sei außerdem, dass Österreich mit 4 % positiv erledigt Asylanträge 2001 zum 2. Mal in Folge einen EU-Negativrekord auftstellte (Dänemark zB schaffte 45 %). Auch beim letzten Europaratstreffen wollte Österreich gemeinsam mit Großbritannien vorpreschen und AsylwerberInnenzentren außerhalb der EU errichten. Diese Flüchtlingszentren – oder von Außenministerin Ferrero- Waldner in alter austrofaschistischer ÖVP-Tradition als „Anhaltelager“ bezeichnet - wurden zwar auf EU-Ebene abgelehnt, doch könnten nun gemeinsam mit Dänemark und den Niederlanden trotzdem umgesetzt werden. Am Europarat selbst einigte man sich auf 390 zusätzliche Millionen für die Flüchtlingsabwehr.

Wohin die Entwicklung führt zeigt vielleicht Australien: Dort gibt es Flüchtlingsgefängnisse mitten in der Wüste - die noch dazu von privaten Sicherheitsdiensten profitorientiert geführt werden – die teilweise sogar mit Elektrozäunen gesichert sind. Eine Chance nach draußen gibt es kaum. Selbst nicht für Kinder, die hinter Gittern geboren wurden.
Schiffe, die Australien anlaufen werden mit Marineeinheiten abgefangen und zu einer mehr als 1.000 km entfernten Pazifikinsel gebracht, die im Gegenzug dafür Hilfsgelder bekommt. Im Wahlkampf wurde ein Schiff mit hunderten Flüchtlingen sogar gestürmt, ein anderes mit über 300 Menschen an Bord ließ man ohne Rettungsversuch untergehen. Der Premierminster trägt bei seinen Interviews eine goldene Anstecknadel von „Amnesty International“ (die allerdings gegen seine Politik protestieren) und spricht über die organisierte Schlepperkriminalität, der das Handwerk – zur Wahrung der Menschenrechte - gelegt werden muss.

Solche Verdrehung gibt es auch bei uns. Während früher Fluchthilfe ein Verwaltungsdelikt war, gilt dies jetzt als relativ schweres strafrechtliches Delikt. Übersehen wird bei solchen Maßnahmen allerdings, dass viele über Bekannte einreisen - und erst mit zunehmend unüberwindbaren Grenzen die Hilfe professioneller "Schlepper" in Anspruch nehmen.
Die zunehmende Repression fördert und ermöglicht somit erst kriminelle Schlepperbanden anstatt sie zu bekämpfen. Gleichzeitig werden die Grenzen zwischen Flüchtlingen und anderen MigrantInnen bewusst verwischt um dem Ziel näher zukommen, unabhängig von der Schutzbedürftigkeit nach rein ökonomischen Kriterien zu bewerten, welche und wie viele Menschen einreisen sollen. Das grundlegende Dilemma ist allerdings die bestenfalls teilnahmslose Bevölkerung: Während sich 1992 noch hunderttausende am Lichtermeer gegen das „Ausländervolksbegehren“ beteiligten, gibt es heute keine große Gegenbewegung zu den radikalen Veränderungen.
Gleichzeitig zeigt sich, wie absurd das Argument ist, eine härtere Asylpolitik wäre notwendig um den Rechtsextremen das Wasser abzugraben. Es ist im Gegenteil das Wasser auf deren Mühlen, was in immer radikaleren medialen Hetzkampagnen – vor allem die rassistisch motivierte Darstellung von Schwarzen als 'asylmissbrauchende Drogendealer’ – ihren Niederschlag findet, die wiederum jegliche breitere Solidarisierung mit MigrantInnen erschwert.

So schließt sich der Teufelskreis zum Ruf nach schärferem Vorgehen gegen die „Wirtschaftsflüchtlinge“. Eine breite Gegenbewegung wäre schon längst notwendig, doch deren Formierung lässt weiter auf sich warten. Klar muss die Richtung sein: Schutz für alle die ihn benötigen; großzügige, auf realistische Migrationsmodelle basierende legale Einwanderungsmöglichkeiten; und letztendlich eine offene, integrationswillige Gesellschaft ohne Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Herkunft.

Georg Feigl erschienen in trotzdem, Ausgabe Juli 2003


printer friendly version printer friendly version