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Die Ethik ist die Grenze des Verlierers - über Roberto Saviano

Roberto Saviano, so erfahren wir, hat in Neapel an der Università degli Studi di Napoli Federico II einen Magister in Philosophie absolviert. Roberto SavianoSein legendärer Bestseller Gomorrha läßt aber nur an zwei Stellen, in zwei Passagen so etwas wie philosophische Reflexion erahnen. Wir erfahren von Augusto La Torre, vom Boss der Mondragone, dass er Freud und Jung las und in seiner Gerichtsverhandlung Lacan zitierte.
Saviano zitiert keine Philosophen oder Psychoanalytiker. Er schildert eine Welt, in der wirtschaftliche Tätigkeit, insbesondere Drogenhandel und Bau einerseits im Vordergrund steht, in der aber andererseits aus zumindest unserer Sicht irrationale, archaische Blutrituale diese immer wieder zerstören. Es kommt nie zum Genuß der Früchte der Bandenkriminalität. Die Villen werden beschlagnahmt. Die Camorristen enden auf Müllhalden oder im Gefängnis.
Aber was sage ich, Savianos Buch ist grausam, aber nur bedingt lehrreich. Es liest sich wie Teile des Paten von Mario Puzo. Genussvoll schaudern wir, wenn die jeweiligen Verstümmelungen der Gegner als Botschaften gelesen werden. Wir lernen, dass es ehrenvoller ist durch Kopfschuss hingerichtet zu werden, als von Kalaschnikow-Salven durchlöchert zu werden. Der alte Kalaschnikow, so berichtet Saviano stolz, hat ihm, dem studierten Philosophen, ein Autogramm mitgegeben.
Widmen wir uns hier diesen beiden philosophischen Passagen, gehören sie doch zu unserem undankbaren Thema der unvereinbaren Begriffe Philosophie und Wirtschaft.
Auf Seite 138 entwirft Saviano eine Theorie des Heroismus der Sieger. Diese, so Saviano, würden im vollen Bewußtsein des Risikos alles auf eine Karte setzen, seien mithin nicht durch Abfindungen und Renten korrumpierbar. “Das Zentrum allen Handelns sein, das Zentrum der Macht.” - diese Maxime bestimme die Cammora.
Giulio Andreotti, dem legendären Alt-Präsidenten und der grauen Eminenz von 50 Jahren Korruption der Democrazia Christiana, wird folgender Satz zugeschrieben:
Andreotti“Die Macht verschleißt nur denjenigen, der sie nicht hat.”
Ich gebe zu, dass mich dieser Satz in seiner brutalen Ehrlichkeit fasziniert hat. Saviano: “Wer behauptet, das sei unmoralisch, ein Leben ohne Ethik sei undenkbar, die Wirtschaft müsse sich an Grenzen und Regeln orientieren, der hat es einfach nicht geschafft, sich durchzusetzen, und ist vom Markt geschlagen worden. Die Ethik ist die Grenze des Verlierers, der Schutz des Unterlegenen, die moralische Rechtfertigung derjenigen, die nicht auf volles Risiko gespielt und alles gewonnen haben.”
Saviano berichtet, dass sein eigener Vater, ein Arzt einst als Notfallarzt einen jungen Cammoristen nicht sterben lassen wollte. Daraufhin wurde er verprügelt und konnte vier Monate nicht mehr arbeiten. Saviano berichtet von einem Dialog (S. 206/207) , in dem Arzt und Philosoph darin unterschieden werden, dass ein Arzt über Menschenleben entscheiden kann. Der daraus gefolgerte Schlüsselsatz könnte von Nietzsche sein:
“Man tut nur dann Gutes, wenn man auch das Schlechte tun kann. Eine gescheiterte Existenz dagegen, eine Witzfigur, ein Nichtstuer, der kann nur Gutes tun, aber das ist geschenkt, es ist nichts wert.”
jacques-lacan3In Neapel, St. Petersburg oder Los Angeles ist so eine Anthropologie verbreiteter, als in Zürich, Wien und Berlin. Wohlmeinend könnte man sagen: Dort geht es offensichtlich existentieller zu, wenn man unter “existentiell” den Umstand versteht, die eigene Existenz ständig durch Armut und Gewalt in Frage gestellt zu bekommen. Es fehlt sozusagen eine Seinsgeborgenheit, in der das Gedeihen von Tugend und Ethik so begünstigt werden, dass diese zur vorherrschenden öffentlichen Meinung werden.
Neapel und die Cammoristen sind - das ist Saviano nicht so bewußt - sehr wenig erfolgreich, wenn man sie mit ethikdominierten Deutschen oder Schweizer Regionen und Städten vergleicht. Sie sind Loser. Manchmal nennt Saviano Umsatzzahlen, die beeindrucken sollen. Etwa: “500.000 Euro am Tag”.  Weiß er, dass ein mittelgrosses deutsches Stadtwerk soviel Umsatz macht?
Über sein Philosophiestudium sagt Saviano: “Vielleicht habe ich nicht zuletzt deshalb Philosophie studiert, um über niemanden entscheiden zu müssen.”
Nun, angeblich muss Saviano sich verstecken, was nach der Lektüre seines Buches nicht ohne Weiteres verständlich ist, rühmt er doch die Untaten der “Unternehmer” aus Kampanien und schreibt diese einem Weltbild zu, das er mit dem neoliberalen Kapitalismus gleichsetzt. Ein beeindruckender Analysesatz: “Nicht die Cammoristen suchen die Geschäfte, sondern die Geschäfte suchen die Cammoristen.”
Es ist also “das System”, eine nicht auszurottende Diagnose, die den Einzelnen nicht nur von jeder Schuld entlastet, sondern ihn auch ermutigt, künftig selbst keine mündige Verantwortung zu übernehmen. Die Morde auch an engagierten Priestern wie Don Peppino sind dann die Bestätigung für die Sinnlosigkeit eines Aufstandes gegen das System von Schweigen und Stolz, Gewalt und Machtlust.
Saviano wird in den deutschen Medien gerne herumgereicht und hat u.a. 2009 den Geschwister Scholl Preis erhalten.
Seine Reportage ist ethnologisch hochinteressant, aber er überschätzt den Einfluss, den Drogen- und Waffenhändler ausserhalb Neapels, insbesondere in Deutschland haben.
Wirtschaftlich ist die neapolitanische Camorra allenfalls eine Fussnote. Eine Gefahr für Deutschland, wie Saviano in einem Interview mit der FAZ sagte, stellt sie nicht dar.
Die Ethischen sind ihr wirtschaftlich und politisch haushoch überlegen. Für Krimiliteratur geben sie allerdings nicht viel her.

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