Eine Grenze der Globalisierung? Fuzzy Chaos Modelle in Ökologie und Ökonomie

Segregation von Volkswirtschaften könnte exzessive Schwankungen der globalen Ökonomie verhindern

Chaotische Schwankungen der Populationsgrössen sind in Metapopulationen reduziert, die aus mehreren weitgehend unabhängigen Subpopulationen mit unterschiedlichen Reproduktionsraten bestehen. Dies deutet an, dass chaotische Schwankungen viel stärker in einzelnen grossen Volkswirtschaften oder in einer einzelnen vollständig globalisierten Ökonomie sein können als in einer Weltwirtschaft, die aus nationalen, bis zu einem gewissen Grade getrennten Volkswirtschaften besteht.


Hintergrund


Die auf Ökologie angewandte Chaostheorie hat gezeigt, dass chaotische Schwankungen der Populationsgrössen erfolgen,  wenn eine Population eine gewisse Rate des intrinsischen Populationswachstums überschreitet. In der Natur bestehen Populationen (Metapopulationen) oft aus mehreren bis zu vielen Subpopulationen, die weitgehend (obwohl nicht notwendigerweise vollständig) voneinander getrennt sind. Fuzzy Chaos Modellieren, welches die Dynamik einer aus mehreren Subpopulationen bestehenden Metapopulation berücksichtigt, zeigt, dass die Weite der chaotischen Schwankungen in der Metapopulation reduziert ist, obwohl jede Subpopulation ihren "normalen" Grad des Chaos beibehält. Im allgemeinen sind die Schwankungen umso kleiner, je grösser die Zahl der Subpopulationen ist. Hier untersuchen wir, ob sich diese Befunde auf die Ökonomie anwenden lassen. Ist eine einzelne globale Ökonomie vielleicht stärker anfällig für exzessive Marktschwankungen als eine Weltwirtschaft, in der nationale Wirtschaften einen gewissen Grad der Unabhängigkeit beibehalten haben?

Chaostheorie in der Biologie


May (z.B. 1975 [1]) und andere nach ihm haben gezeigt, dass chaotische Schwankungen in der Populationsgrösse eine Folge intrinsischer (nicht durch Umwelteinflüse bedingter) hoher Raten des Populationswachstums r sind. May benutzte die anscheinend einfache, nonlineare Gleichung
xt+1= rxt (1- xt ) (wo xt = Populationsgrösse der Generation t, xt+1= Populationsgrösse der Generation t+1, r = intrinsische Rate des Populationswachstums). Solange das Populationswachstum gering ist, befinden sich Populationen im Gleichgewicht mit einem einzelnen Wert der Populationsgrösse. Wenn die Wachstumsrate den Wert von 3 überschreitet, lassen sich zuerst 2 Gleichgewichts-Werte feststellen, und dann (mit zunehmenden Wachstumsraten), 4, 8 und 16. Bei Wachstumsraten grösser als r=3.57 schwanken die Populationsgrössen chaotisch (Abbildungen 1 und 2). Diese Schwankungen sind nur scheinbar zufällig, tatsächlich jedoch strikt deterministisch, und äusserst anfällig für geringfügige Unterschiede in den Anfangsbedingungen, d.h., minimale Unterschiede in der anfänglichen Populationsgrösse haben  sehr starke Unterschiede in späteren Schwankungen zur Folge, was Voraussagen über die Zukunft unmöglich macht.



Abbildung 1. Bifurkations-Diagramm für eine einzige Population im Verhulst-Modell. Vertikale Axe: Populationsgrössen x (als Prozentsatz der maximalen Populationsgrösse 1); horizontale Axe: Reproduktionsraten r. Insets:  Veränderungen der Populationsgrössen für einige ausgewählte Reproduktionsraten über Zeit. Beachte: die Populationsgrösse ist im stabilen Gleichgewicht mit einem einzigen x-Wert, bis ein gewisser r-Wert (grösser als 3) erreicht ist. Danach alternieren Populationen zuerst zwischen 2 Gleichgewichts-Werten, dann zwischen 4, 8 und 16 Werten. Bei r=3.57 werden die Populationsgrössen chaotisch. Beachte: x überschreitet niemals die maximale Grösse von  1.



Abbildung 2. Wie Abbildung 1, gezeigt jedoch nur für r-Werte über 3.50.



Fuzzy Chaos in der Ökologie

Rohde und Rohde (2001 [2]) führten Fuzzy Chaos Modellieren in die Ökologie für aus mehreren Subpopulationen bestehende Metapopulationen ein. In diesem Modell werden alle Werte der Subpopulationsgrössen für jede Reprodukionsrate summiert. Dies fürt dazu, dass die chaotischen Schwankungen in der Metapopulation, die aus mehreren weitgehend voneinander unabhängigen Subpopulationen mit unterschiedlichen Reproduktionsraten besteht, reduziert sind, obwohl jede Subpopulation  ihre Chaos-Dynamik beibehält. Diese Reduzierung ist im allgemeinen negativ mit der Zahl der Subpopulationen korreliert, d.h., je mehr Subpopulationen, desto stärker die Reduktion. Die Reduzierung ist schwächer, wenn Subpopulationen selektiv gewertet werden, d.h. wenn grössere Subpopulationen stärker als kleinere gewertet werden. - Diese Resultate sind eine Folge der Methode: Chaos in der Metapopulation ist notwendigerweise unterdrückt, weil die individuellen Schwankungen jeder Subpopulation nicht genau zeitgleich erfolgen, d.h. der Maximalwert der Schwankung einer Subpopulation fällt nur sehr selten mit dem einer anderen zusammen. Ein Beispiel ist in Abbildung 3 für eine aus 5000 Subpopulationen bestehende Metapopulation illustriert (beachte, dass das Bifurkations-Diagramm nur für r-Werte von r=3.50 und darüber dargestellt ist). Vergleich mit Abbildungen 1 und 2 zeigt, dass die Schwankungsweite (Amplitude), abgesehen von wenigen r-Werten, stark reduziert ist.




Abbildung 3. Bifurkations-Diagramm für eine aus 5000 Subpopulationen bestehende Metapopulation, dargestellt nur für r-Werte über 3.50. Beachte: chaotische Schwankungen für r-Werte über r=3.57 erfolgen zwar, sind aber stark komprimiert. Starke Schwankunge sind weitgehend auf r-Werte von 3.63, 3.74 und 3.84 beschränkt.


Anwendung von Fuzzy Chaos Modellieren auf die Ökonomie


Können diese Ergebnisse auf die Ökonomie angewandt werden? Sie deuten immerhin an, das chaotische Schwankungen, weil sie in getrennten Wirtschaften nicht zeitgleich erfolgen, viel stärker in einer einzelnen grossen Wirtschaft und einer vollständig globalisierten Weltwirtschaft sind, als in einer Weltwirtschaft, die aus teilweise voneinander unabhängigen Nationalwirtschaften besteht. Im letzteren Fall würden Nationalwirtschaften weltweit während einer Rezession nicht im gleichen Grade zusammenbrechen wie im ersteren Fall, zumindest nicht alle zu einem bestimmten Zeitpunkt. Ebenso wären natürlich auch Konjunkturen nicht zeitgleich.

Man kann leider nur darüber spekulieren, wie eine solche wirtschaftliche Segregation aufrecht erhalten werden könnte. Denkbar wäre zum Beispiel ein Koexistieren verschiedener Finanzsysteme, wie des westlich-kapitalistischen und des islamischen. Immerhin konnte sich Malaysia während der asiatischen Finanzkrise in den neunziger Jahren deshalb den schlimmsten Folgen entziehen, weil es auf islamische Finanzen zurückgriff und sich damit von den anderen, stärker betroffenen Ländern und insbesondere auch dem International Monetary Fund (IMF) abschottete. Auch in der augenblicklichen Finanzkrise sind islamisch finanzierte Länder weniger betroffen, was zum Teil auf  die dem islamischen System unterliegende Philosophie (Verbot der exzessiven Spekulation) zuruckzuführen ist, zum Teil wahrscheinlich aber auch einfach darauf, dass diese Länder zumindest "relativ" abgeschottet sind. - Im kleineren Rahmen könnte vielleicht auch das Aufbrechen riesiger Banken in kleinere (wie kürzlich vom ehemaligem Vorsitzendem der Federal Reserve Paul Volcker, vorgeschlagen) nützlich sein, sofern dies mit der Einführung von Regelungen verbunden ist, die unterschiedliche Praktiken der Banken garantieren. Immerhin ist grösser nicht immer besser. Es ist Zeit, nochmals im Klassiker von Schumacher nachzulesen: Klein ist Schön: Ökonomie als ob Leute zählten (1973 [3]).

Möglicher  Einwand


Das hier beschriebene Modell wurde für die Untersuchung spezieller ökologischer Fragen entwickelt und ist vielleicht nicht ohne weiteres auf ökonomische Fragestellungen anwendbar. Trotzdem kann es dazu dienen, die Frage der Ursachen wirtschaftlicher Katastrophen neu zu überdenken und eine Diskussion darüber auf diesen Seiten in Gang zu bringen.


Danksagung

Ich danke Peter Rohde für zahlreiche hilfreiche Hinweise. Peter schrieb alle Programme für das Fuzzy Chaos Model.

Références

  1. May, R.M. 1975. Deterministic models with chaotic dynamics. Nature 261, 903-910.
  2. Rohde, K. and Rohde, P.P. 2001. Fuzzy chaos: reduced chaos in the combined dynamics of several independently chaotic populations. American Naturalist 158, 553-556.
  3. Schumacher, E. F. 1973. Small Is Beautiful: Economics As If People Mattered. Harper & Row. N.Y.

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Klaus Rohde
Klaus Rohde
Professor emeritus
UNE Armidale, Australia
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Dernière modification : 19 sept. 2009 15:33.

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