Der Heilige Gral und die geheime Botschaft der Namen

Von Richard Beiderbeck     www.koinae.de     

 

In den Gralsdichtungen verraten die Namen der handelnden Personen, dass im

Gralsmythos  Reste einer heidnischen Fruchtbarkeitsreligion enthalten sind

Was ist der Gral ?

 

Der Gral ist ein Objekt des Aberglaubens. In der Vorstellungswelt des Mittelalters ist der Gral ein mit der göttlichen Kraft Christi „aufgeladener“ Gegenstand. Der Gral gehört in die Kategorie der Reliquien, und diese sind verwandt mit den heidnischen Talismanen und Fetischen. Der Heilige Gral ist der Kelch, den Christus beim letzten Abendmahl benutzte, oder das Blut des gekreuzigten Christus, oder auch beide zusammen, wenn der Kelch das Blut Christi enthält. Es gibt aber noch andere Ansichten darüber, was der Grals ist (davon weiter unten).

 

Eine durch Dan Brown’s Roman „Sakrileg“ viel beachtete Deutung besagt, daß der Gral das Blut Christ in dem Sinne ist, dass unter „Blut“ die Blutverwandtschaft, also die Abstammung von Jesus gemeint sei. Der eigentliche Gral sei also das königliche Blut, das in den Adern der Nachfahren des Königs der Juden fließe. Damit greift Dan Brown die These von Baigent, Leigh und Lincoln (in „Der Heilige Gral und seine Erben“) auf, dass der Heilige Gral (San Gral) das „sang real“, das königliche Blut Christi sei, das sich über seine Kinder, die er mit Maria Magdalena hatte, bis zur fränkischen Dynastie der Merowinger weitervererbt hätte. Die Merowinger haben aber meines Wissens nie den Anspruch erhoben, von Jesus (und damit von Gott selbst) abzustammen. Das Buch von Baigent, Leigh und Lincoln ist Unterhaltungsliteratur, bestenfalls Geschichtsspekulation. Allerdings muß man ihnen in einem Punkt recht geben: Warum sollte Jesus keinen Freundin oder Frau gehabt haben ? Vom katholischen Zölibat wusste man zu seiner Zeit nichts, und Jesus war kein katholischer Priester, sondern ein frommer Jude, dem es sehr wohl anstand, verheiratet zu sein.

 

Eine weitere Version des Gralsglaubens besagt, daß es sich um einen Meteor oder um einen Edelstein handelt, den „Stein der Weisen“.

 

Für die mittelalterlichen Gralsgläubigen von besonderem Interesse waren die Wunder- und Heilkräfte des Grals. Man glaubte, dass er Krankheiten heilen, sowie Macht, Reichtum Wissen und sogar das ewige Leben schenken könne. Interessant war für die Gläubigen die Frage: Wer besitzt den Gral und wer ist befugt und in der Lage, die Kräfte des Grals anzuwenden ? Und schließlich: Wie könnte man an diese im Gral wirksame göttliche Kraft herankommen und sie zum eigenen Vorteil nutzen ? Da lag es nahe, auf die Suche nach dem Gral zu gehen, also eine „quest“ zu unternehmen, wie sie in Romanen und Ritterepen ( www.koinae.de/gralsliteratur.htm ) beschrieben wird. Diese Dichtungen handeln von Parzival und von den  Rittern der Tafelrunde des Königs Arthur. Die meisten dieser Werke entstanden in Frankreich und England in der Zeit zwischen 1170 und 1240. Im deutschen Sprachraum griff Wolfram von Eschenbach das Thema auf (in seinem „Parzival“). Nicht zu vergessen ist auch die Oper von Wagner „Parsifal“.

Die Gralsgeschichten sind zur Zeit der Kreuzzüge und der christlichen Wiedereroberung des maurischen Spanien entstanden. Die Gralsburg ist (nach Michael Hesemann) das am Rande der spanischen Pyrenäen gelegene burgartige Kloster San Juan de Pena.

Natürlich gibt es mehrere Kelche und Schalen, von denen behauptet wird, das von Jesus und seinen Jüngern beim Heiligen Abendmahl benutzte Trinkgefäß zu sein. Nach Michael Hesemann („Die Entdeckung des Heiligen Grals“) ist der in der Kathedrale von Valencia (Spanien) aufbewahrte „Santo Caliz“ der wirkliche und richtige Abendmahlskelch. Es handelt sich dabei um einen Achatbecher von schlichter Eleganz, der von einem mittelalterlichen Goldschmied auf einem mit zwei Henkeln versehenen Untersatz befestigt wurde. In diesen Untersatz ist als Standfuß eine Achatschale eingearbeitet, die angeblich beim Letzten Abendmahl zum Servieren von Fischen benutzt wurde.

 

Die Ritterdichtungen geben unterschiedliche Auskunft darüber, was der Gral eigentlich ist. Bei Wolfram von Eschenbach ist der Gral ein Stein, der vom Himmel fiel („lapis exilis“, d.h. „lapis ex coelis – Stein vom Himmel“), also ein Meteorstein - ähnlich wie der in der Ostseite der Kaaba von Mekka eingemauerte schwarze Stein. Ein Stein also, der mit der Kraft des Himmels aufgeladen ist, der Stein der Weisen, der Wissen und Macht verleiht und der aus Blei Gold machen kann.

 

Für andere ist der Gral eine Schale, in welcher das Blut des gekreuzigten Christus aufgefangen wurde, nachdem der römische Soldat Longinus seine Lanze (die Heilige Lanze) in die Seite Christi stieß, um zu überprüfen, ob der Gekreuzigte schon tot sei. Oder der Gral ist der Kelch, aus dem Christus und seine Jünger beim letzten Abendmahl tranken. Jesus reichte den Kelch mit den Worten: „Dies ist mein Blut, das für euch vergossen wird“. Der eigentliche Gral wäre demnach das Blut Christi.

 

Am plausibelsten ist, daß „Gral“ oder „Graal“ einfach nur Kelch, Krug oder Schale bedeutet. Jedenfalls hatte das Wort um 1200 in Spanien und Südfrankreich diese Bedeutung. Das Wort Gral ist verwandt mit „crater“, dem lateinischen Wort für Krug oder Becher. Die Römer übernahmen das Wort von den Griechen. Ein „Krater“ war bei den Griechen ein Mischkrug, der zum Mischen von Wasser und Wein zu benutzt wurde, denn nur Barbaren tranken den Wein unverdünnt. Auch Jesus schüttete auf der Hochzeit von Kanaan, (die übrigens seine eigene war), den Wein in die halbvollen Wasserkrüge und machte so daraus nach griechischem Brauch eine für kultivierte Menschen trinkbare Mischung.

 

Der Gral fällt in die Kategorie der Talismane und Fetische

 

Der Gral ist eine Reliquie, und er gehört wie alle Reliquien in die Kategorie der Fetische und Talismane, und damit in das Reich des Glaubens und des Aberglaubens. Der Gral wird als ein Gefäß der göttlichen, segensbringenden Kraft betrachtet. Alle Gralsmythen gehen von der Vorstellung aus, dass es eine übernatürliche  Kraft gibt, die in einem Gegenstand, oder an einem Ort oder in einem Menschen besonders konzentriert sein kann. Gegenstände, die mit dieser Kraft aufgeladen sind, nennt man Talismane oder Fetische. Die erste und wichtigste Geschäftsgrundlage jeder Religion und Magie ist der Glaube an die Existenz einer übernatürlichen Kraft.

 

Das Blut Christi als Kraftstoff – der Tiger im Gral

 

Wenn Jesus Christus der Sohn Gottes ist, dann muß seine Person in ganz besonderem Maß mit der göttlichen Kraft aufgeladen sein – so die religiöse Logik. Und dann muß auch das Blut Jesu in ganz besonderem Maße die göttliche Kraft enthalten. Und wenn in Sakrament des Heiligen Abendmahls aus dem Wein im Messkelch das Blut Christi wird, dann kann der gläubige Christ mit dem Blut Christi die göttliche Kraft trinken und erlangt damit letztlich das ewige Leben. Dieser magische Prozess der Transsubstantiation (Umwandlung von Brot und Wein in Leib und Blut Christi) wurde auf dem Konzil im Lateranpalast zu Rom von 1215 zum Dogma erklärt – just zu der Zeit, als die Gralsromane entstanden. Dies zeigt, dass man durch die Kreuzzüge mit heidnischer Magie in Berührung gekommen war und dass diese bis in die Kreise der Kardinale und Bischöfe Eindruck machte. Sie konnten sich dabei auf den Apostel Paulus berufen, welcher der hellenistischen Gnosis nahe stand. Paulus machte aus dem Passahmahl, das Jesus in einem Haus seiner essenischen Freunde feierte, eine griechisch-heidnisches Mysterienmahl. 

 

Der Gralsmythos ist schient ein christlicher zu sein, weil er an das Heilige Abendmahl anknüpft und davon ausgeht, dass Jesus der Sohn Gottes ist. Trotzdem ist der Gralsmythos ein heidnischer Mythos, denn es geht dabei nicht um Christus, sondern um den mit göttlicher Kraft aufgeladenen Fetisch aller Fetische.

 

Dies ist also die religiöse Vorstellung, die hinter den Gralsmythen steht: Der Gral ist das Gefäß der Kraft Gottes. Quasi ein unerschöpflicher Kraftstoffbehälter. Wenn man so will: der Gral ist der größte und mächtigste Talisman überhaupt. Wer den Gral besitzt, kann Wunder aller Art vollbringen, erlangt das ewige Leben, göttliche Weisheit und göttliche Energie, unermessliche Macht und Reichtum.  Er wird niemals krank und ist unverwundbar bzw. alle Wunden und Krankheiten werden innerhalb weniger Minuten wieder geheilt. Aber schon in den Gralsdichtungen wird dieser Wunschtraum stark eingeschränkt, denn nur der würdige und auserwählte Mensch kann die Kraft des Grals nutzbar machen – und zwar bevorzugt für andere, nicht so sehr für sich selbst.

 

Der Gralsmythos ist das Destillat aus den Religionen

 

Der Wunsch, über die göttliche Kraft zu verfügen, zumindest aber für die eigenen Wünsche und Bedürfnisse dienstbar zu machen, ist die Triebfeder für alle religiösen, magischen und abergläubischen Bemühungen. Insofern ist der Gralsmythos die Quintessenz jeder Religion und Magie. Wenn man alle Religionen  einer großen Destillation unterziehen würde – heraus käme der Glaube an die göttliche Kraft. Die göttliche Kraft, enthalten im Heiligen Gral, ist das, was übrig bleibt, wenn man sich alle Götter, Halbgötter, Heroen, Heiligen, Dämonen und Geister wegdenkt: ein anonymes, unpersönliches Konzentrat an schöpferischer und zerstörerischer Energie. Die Chinesen nannten dies Kraft „Chi“ oder „Gi“ und die Ägypter sagten „Ka“ dazu.

 

Die Gralshüter und der Gralskönig

 

In jeder Religion gibt es die Priester, Magier, Propheten und Gurus, die behaupten, einen besonderen Zugang zur göttlichen Kraft zu haben und die diese Kraft quasi zu verwalten (am liebsten als Monopol) und an das gemeine Volk weiterzugeben. Als Beweis für diese Behauptung dient das Wunder.

 

In den Gralsmythen ist der Mensch mit dem Zugriff auf den Gral der Gralskönig, und seine Getreuen sind die Gralshüter. Der Gral ist nicht für jeden erreichbar. Wer in die Gralsburg eingelassen wird und sich am Ende dem Gral nähern darf, das entscheiden die Gralshüter. Und nur einer kann die Kraft des Grals nutzen: der Gralskönig. Er muß auserwählt sein und besondere Eigenschaften haben – die er gegebenenfalls in einer Prüfung unter Beweis zu stellen hat. Paradoxerweise kann der alte und kranke Gralskönig Amfortas die Kraft des Grals nicht nutzen, um sich selbst zu heilen, und er kann auch nicht mehr die Kraft des Grals für die Erhaltung der Bewohner der Gralsburg aktivieren. Im fehlt eine Eigenschaft, die der junge Parzival hat.  Welche das ist, verraten uns die Namen der handelnden Personen.

 

Der Gralsmythos – ein heidnischer Mythos von Fruchtbarkeit und Lebenskraft

 

Der Gralsmythos ist kein christlicher Mythos. Hier irrte Franz von Liszt, als er Wagners Parsifal als „zu christlich“ bezeichnete.

Wolfram von Eschenbach berichtet in dem Vorwort zu seinem Parzival: Kyot de Provence fand die Vorlage für seinen „Ur-Perceval“ in Toledo, und zwar in einem in arabisch geschriebenen Buch; dessen Autor war der „Heide Flegetanis“, ein Naturforscher, Arzt, Magier, Astrologe und „betete ein Kalb als seinen Gott an“, war also ein Anhänger eines Fruchtbarkeitskultes.

 

Toledo war eine Metropole der Mozaraber („Fast-Araber“). Nachdem der größte Teil der iberischen Halbinsel wieder in der Hand der Christen war, blieben viele Mauren und Juden in Spanien und bewahrten ihre Kultur weiter. Unter den Mauren waren viele  Schwarzafrikaner, die zu 90 % an Allah, aber zu 100 % an Magie glaubten. Es gelangten nicht nur die Werke der großen arabischen Philosophen, Mathematiker und Naturwissenschaftler nach Westeuropa, sondern auch die afrikanische und orientalische Magie, wo sie sich mit den keltischen Traditionen verbanden. Wie stark das Heidnische faszinierte, könnten wir an dem etwa um 1050 beginnenden Baustiel der Romanik erkennen, deren Portale und Säulenkapitelle von Bestien und Dämonen nur so wimmeln.

Die Gralsburg „Munsalväsche“ ist nicht der „Mont de salvage“ (Berg des Heils), sondern der „Mont des sauvages“ (der Berg der Heiden). Die Gralsburg liegt nicht irgendwo im Reich von König Arthur, sondern man kann sie diesseits oder jenseits der Pyrenäen vermuten. Für Hesemann ist die Klosterburg San Juan de Pena in Aragon die Gralsburg, und nicht die Katharerburg Monstsegur.

 

Parzival wächst als Heide auf, er ist unverbildet vom Christentum. Er macht sich auf die Suche nach dem Gral, der göttlichen Kraft. Er findet sie nicht in einem Kloster oder bei einem christlichen Heiligen, sondern auf der Gralsburg. Dort regiert Amfortas, ein Onkel von Parzival. Ein weiterer Onkel hat den Namen  Trevrizent („Très froisant“, „sehr schauerlich“). Parzivals Halbbruder heißt Firefiz („Sohn des Feuers“). Dessen Mutter ist die schwarzhäutige Belekane (=Kanebele, also die „Kannibalin“). Parzivals Cousine ist Sigune („die Zigeunerin“). Besonders christlich klingt das nicht. König Arthur stammt aus dem Hause Pendragon („gefiederter“ oder „geflügelter Drache“). Der „alte Drache“ ist in der Bibel der Teufel, der als Luzifer aus dem Himmel auf die Erde geworfen wird. Arthurs Vorfahren leiteten also ihre Herkunft vom Teufel ab (einem zum Teufel erklärten Fruchtbarkeitsgott, dargestellt als Mischung zwischen Mensch und Bock.

 

Die Namen erzählen die wahre Geschichte. Es geht nicht um die Erlösung durch Christus und das Evangelium, sondern um die Kraft, die eher eine teuflische als eine himmlische zu schein scheint. Und so entdecken wir, hellhörig geworden, dass Parzival zwei Söhne hat, Kordeix und Loherangrin (Lohengrin). Kardeix hat „dieu dans le coeur“, aber in „Logeangerien“ wohnt kein Engel („Loge ange rien“), sondern ein Teufel, zumindest aber ein Teufelsanbeter und Dämonenbeschwörer. Seine Utensilien hat er in dem Zimmer, das seine Frau nicht betreten darf.

Aufschlußreich sind auch die sexuellen Anspielungen in den Namen, die von den hochmittelalterlichen Lesern und Zuhörern sicher mit Verständnis und Ergötzung zur Kenntnis genommen wurden. Parzivals Frau heißt Conduiramurs („Liebe machen“), die Partnerin von Firefiz ist Repansedejoie („Antwort der Freude“) und Lancelots große Liebe ist Guinevere („guinde vierge“ – sie „windet die Rute nach oben“). Lancelot hat „a lot of lanceoder “uses his lance a lot”. Schon die Namen Guinevre und Lancelot lassen schon ahnen, daß die beiden ins miteinander ins Bett gehen und König Arthur betrügen werden. Lancelots Sohn heißt Galahead („= gaul ahead“). „Gaul“ heißt in der Sprache Troubadoure die Stange, verwandt mit deutsch „geil“). Parzivals Vater heißt Gauvain, „gaul vain“ („vergebliche Stange“), was darauf hindeutet, dass er bei den adeligen Damen nicht zum Zug kam.

 

Amfortas versagt

 

Einmal im Jahr muß Amfortas den Gral hervorholen und mit Hilfe von dessen Kraft die Lebensmittelvorräte und letztlich die ganze Burg und ihre Bewohner erneuern. Dies geschieht durch einen rituellen Beischlaf mit einer Jungfrau, ganz im Stil der altorientalischen Fruchtbarkeitskulte. Der Gottkönig erneuert stellvertretend für den Fruchtbarkeitsgott die Welt, indem er den Beischlaf vollzieht. Das ist eine magische Handlung; in Analogie zur Befruchtung einer Frau soll die Natur befruchtet werden. Aber der arme Amfortas kann  nicht. Sein Name verrät es: „Amfortas“ ist „infortas“ – ohne (männliche) Kraft. Wie kam es dazu, dass Amfortas ohne sexuelle Kraft ist ? Amfortas hat sich, enttäuscht über die Zurückweisung durch Orgeluse („Orgeilleuse“, die „Stolze“) im Garten der Lüste mit Klingsors Freudenmädchen eingelassen (so erzählt es Wagner’s Oper in Anlehnung an Robert der Borons Gralsgeschichte). Dabei hat er sich eine Geschlechtskrankheit geholt, die ihn am Beischlaf und am Kinderzeugen hindert. Klingsor machte also Amfortas Klinge sor („sor“ ist „wund“).

Ähnliches kann man auch aus den alten Gralsepen herauslesen. Da wird der blutende Speer zusammen mit dem Gral hereingetragen. Der Speer ist eindeutig ein Phallussymbol. Ein blutender Speer deutet an, dass Amforts geschlechtskrank war. Das ist ein Thema, das für  die Zuhörer der Ritterepen, die auf dem Höhepunkt der Kreuzzüge entstanden, sicher aktuell war. Als Folge der Kreuzzüge breiteten sich Geschlechtskrankheiten aus und der Fortbestand der Adelshäuser war wegen der grassierenden venerischen Infekte gefährdet. Außerdem machte den adeligen Zeitgenossen die Erhöhung der Stellung der adeligen Frauen zu schaffen, die, in Abwesenheit der Kreuzritter selbständig und selbstbewusst geworden, ihre Verehrer oft stolz abwiesen.

 

Parzival kann

 

Amfortas kann also  nicht. Jetzt ist guter Rat teuer. Die Mittel der Hexe Kundri (der Zauberkundigen) versagen. Wer soll die Stelle Amfortas einnehmen und als Gottkönig den rituellen Beischlaf vollziehen und die Kräfte des Grals freisetzen ?  Die Antwort: der junge, unverdorbene Parzival. Er ist mit Amfortas verwandt und kann die Linie der Gralskönige erhalten. Der Mythos vom göttlichen Blut ist, zumindest unterschwellig, legitimierende Basis jedes monarchischen Herrschaftsanspruches. Das Zeugen oder Finden eines würdigen Nachfolgers ist der kritische Punkt jeder Monarchie. 

Parzivals Speer war dank seiner Enthaltsamkeit gesund geblieben. Er kann das Tal zwischen den Schenkeln der Jungfrau durchbohren („Perceval“ heißt „percer le val“, „das Tal durchbohren“). So kann Parzival einen neuen Gottkönig werden und den Dynastiegründer Titurels (der „Namensgebers“) weiter seine Schattendasein in seiner Gruft führen lassen.

 

Daß im Gralsmythos die Erinnerung an heidnische Fruchtbarkeitskulte steckt, gibt auch Dan Brown in seinem Roman „Sakrileg“ zu erkennen: Jacques de Saunière vollzieht im engsten Kreis der Prieurie de Sion einen rituellen Beischlaf, der von seiner Nichte als Kind beobachtet wurde.

 

Könnte eine „Dynastie der Nachkommen Christi“ dem Papst Konkurrenz machen ?

 

Der Gral ist die Lebenskraft, die sich immer wieder erneuert. Sie ist entgegen allem Aberglauben, Mythen und Religionen nicht in Personen, Gegenständen oder Orten konzentriert, sondern sie ist überall. Wenn der Kelch des letzten Abendmahl noch existiert (warum nicht ?), so ist es aber nur ein Kelch wie jeder andere, ohne jede Wunderkraft. Wenn des Blut Christi noch als Reliquie existieren würde, so wäre es halt Blut eines Menschen, sonst nichts, wenn auch von wissenschaftlichem und historischem Interesse. Und wenn die Nachkommen Christi noch existieren würden – was soll’s ? Es wären Menschen wie du und ich. In ihnen wäre die göttliche Kraft nicht in einem höheren Maße konzentriert als in jedem anderen Menschen. Könnten diese Nachkommen Christi dem Papst Konkurrenz machen oder gar beanspruchen – aus ihren Reihen das Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche zu stellen ?  Nein. Mit dem gleichen Recht könnte ein Nachfahre Karls der Großen das Recht erheben, deutscher Bundeskanzler zu werden.

 

Der Gral ist überall

 

Die göttliche Kraft ist überall. Aber wir können nicht über sie frei verfügen, sondern sie ist eine Kraft, die stärker ist als wir und die von uns unabhängig und unbeeinflussbar durch Magie, Opfer oder Gebet ist. Man kann sie nicht manipulieren, sondern sie nur respektieren und in Einklang mit ihr leben.