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 Ikonen stören den Zeitgeist in Rumänien

 

Nur wenige Jahre nach der Revolution von 1989 greift der Säkularismus auch in Rumänien um sich: Kreuze und Ikonen stören den Zeitgeist religionsfreier Kreise der Spaßgesellschaft.

Nach dem Umsturz vom Dezember 1989 ging in Rumänien eigentlich alles ganz schnell. Zunächst wurde der Religionsunterricht wieder eingeführt, dann die Militär- und Anstaltsseelsorge in Kasernen, Spitälern, Altenheimen und Gefängnissen wieder zugelassen. Politiker aller Couleur suchten die Nähe der Kirchen. Diese wiederum können bis heute auf eine in Europa wohl einmalige Zustimmungsrate von über 80 Prozent setzen, weit vor allen anderen Institutionen oder Berufsgruppen. Dass es bis 2007 gedauert hat, bis in Rumänien ein neues Kultusgesetz in Kraft getreten ist, das die Beziehungen zwischen Staat und Kirche regelt und jenes der Kommunisten von 1948 ablöst, ist eher den Allüren einzelner Kirchen zuzuschreiben, als dass dies eine  gesellschaftliche Tendenz wiederspiegelte.

Jetzt jedoch ist in Rumänien ein Streit über Kreuze und Ikonen in Schulen und öffentlichen Gebäuden entbrannt, der den christlichen Grundkonsens der rumänischen Gesellschaft im Namen eines säkularen Staatsgedankens und der Europäischen Union infragestellt und an manche Debatte in Deutschland und Frankreich erinnert. Einzelpersonen und sonst marginale Gruppen der Zivilgesellschaft fordern eine absolute Trennung von Kirche und Staat in Rumänien. Als Konsequenz sollen Kreuze und Ikonen aus Klassenzimmern und anderen öffentlichen Einrichtungen entfernt werden.

Nun ist diese Diskussion im tief religiös geprägten Rumänien in vieler Hinsicht eine Geisterdebatte. Bei der Revolution im kalten Dezember des Jahres 1989 streckten viele Demonstranten den Securitate-Einheiten und ihren Panzern Kerzen, Kreuze und Ikonen entgegen. Die Identität der Menschen in Rumänien definiert sich in vieler Hinsicht über den Glauben, das hat historische Gründe. Die Rumänen sind fast durchgehend orthodox, die Ungarn entweder reformiert oder katholisch, die Siebenbürger Sachsen alle evangelisch, die Banater Schwaben alle katholisch. Die Türken und Tataren sind alle muslimisch. Und das Zusammenleben klappt.

Ein Blick auf die Daten der Volkszählung von 2002 unterstreicht dies: 86,7 Prozent aller Staatsbürger sind orthodox, rund 4,9 Prozent katholisch, etwa vier Prozent Protestanten. Daneben gibt es Juden und Muslime, letztere vor allem in der Dobrudscha im Südosten Rumäniens, zwischen Donau und dem Schwarzen Meer. Gerade einmal rund 11.000 der 21 Millionen Staatsbürger erklären sich für atheistisch oder ungläubig.

Rumänien ist ein Land, in dem seit der Wende allein die orthodoxe Kirche 1000 neue Gotteshäuser baute, die Zahl ihrer Klöster von rund 120 auf jetzt 600 steigern konnte, in denen heute rund 8000 Mönche und Nonnen leben. Die Kirchen platzen zu Gottesdiensten aus allen Nähten. Die Stimme der Kirche hat Gewicht. Wegkreuze und christliche Motive sind überall in der rumänischen Gesellschaft sichtbar. Menschen aller Altersschichten bekreuzigen sich, wenn sie an einer Kirche vorbeikommen. Selbst junge Leute fasten. Kloster auf Zeit ist gefragt. Christliche Radiosender ohne vulgärdebilem Programm  boomen. Und beim Frisör in Mangalia – der muslimischer Türke ist – hängen neben den Spiegeln orthodoxe Ikonen. Muslime packen in der Dobrudscha mit an und helfen Orthodoxen beim Kirchenbau.

Genau diese tiefe Verwurzelung der Menschen im christlichen Glauben ist manchen Intellektuellen, aber auch bis 1989 kommunistisch und seit 1989 technokratisch geprägten Politikern ein suspekter Dorn im Auge. Auch die Angehörigen der millionenschweren Cliquen der Revolutionsgewinner fühlen sich von frommen Kirchgängern und den Moralansprüchen der Kirche in ihrem  luxuriösen Lebensstil zwischen Hummer und Hummer-Jeeps gestört.

Die Kritiker der Kreuze und Ikonen argumentieren mit der EU, der Religionsfreiheit und den Menschenrechten. Dabei sind die Menschen genau für die Religionsfreiheit und die Menschenrechte 1989 auf die Straße gegangen. Die Freiheit der Nicht- und Andersgläubigen und die freie Entfaltung der Kinder würden durch religiöse Symbole beeinträchtigt, heißt es. Kinder würden religiös indoktriniert. Wie in anderen postkommunistischen Ländern auch sehen kirchenferne Intellektuelle im Aufblühen der Kirchen und der Religion einen Regress der unaufgeklärten Bevölkerung. Sie distanzieren sich gerne von der traditionellen Volksfrömmigkeit der orthodoxen Kirche. Die Konfliktlinien sind weit gestreut: von der Frage der religiösen Symbole in den Schulen bis zu Gayparaden in Bukarest.

Mit ihren Sympathisanten in den Medien schaffen es diese kleinen Gruppen, lautstark zu agieren. Ihr Sammelbecken ist der „Nationale Rat gegen Diskriminierung“, eine von der Regierung eingesetzte Institution. Am 20. Juni gab nun ein Gericht dem Anti-Diskriminierungsrat in einem Prozess gegen das Bildungsministerium Recht. Kreuze sollen aus den Schulen entfernt werden.

Die orthodoxe Kirche läuft Sturm und will auf dem Rechtsweg und politisch eine Regelung nach dem Vorbild deutscher Bundesländer wie Bayern durchsetzen. Unterstützt werden sie übrigens von den Muslimen und Juden in Rumänien. Erzmufti Yussuf Muurat (Konstanza) verfügt über exzellente Kontakte zur Orthodoxen Kirche.

Es geht um einen neuen Kulturkampf. In der Logik der Kreuzgegner haben auch Soutanen nichts auf der Straße verloren. In letzter Konsequenz müssen dann Kreuze und Ikonen auch aus den Theologischen Fakultäten der staatlichen Universitäten verschwinden und die Professoren und Bischöfe müssen in Zivil auf den Katheder.

Eine lautstarke Minderheit will die rund 96 Prozent der Staatsbürger, die Christen sind, dominieren. Und es wirkt wie ein Treppenwitz der Geschichte, dass 17 Jahre nach der Revolution nun das Christentum im Namen von Demokratie und Freiheit aus Gesellschaft und Öffentlichkeit eliminiert werden sollen. Die EU wird dabei als Argument missbraucht, sie überlässt die Kultusregelungen bekanntlich den einzelnen Mitgliedsstaaten. Fundamentalistische Kreise in der Orthodoxie sehen sich in ihrer  EU-Skepsis bestätigt.

 

Jürgen Henkel

(Bukarest/Hermannstadt)